Bleiben Sie gesund!

#allesdichtmachen und die Reaktionen auf die konzertierte Aktion – Ein Zwischenruf zur kritischen Vernunft von Heinz K.

Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger gewählt sein können: Am Abend jenes Tages, an dem die Bundesnotbremse der Regierung nach dem Bundestag auch den Bundesrat passierte und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Unterschrift drunter setzte, damit die Notbremse bundesweit in Kraft treten konnte, wurde die mediale Bombe unter dem Hashtag #allesdichtmachen gezündet. Hinter der konzertierten Aktion standen ursprünglich 54 prominente deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler, die mit kurzen Videos auf den sozialen Kanälen und auf YouTube zeitgleich in Erscheinung traten. Gemeinsamer Tenor: Kritik an der staatlichen Lockdown-Politik durch ironisch verfremdete Rollenprosa. Die Videos zeigen schauspielerische Etüden oder auch kleine kabarettistische Szenen, mal mehr, mal weniger gelungen, in denen eine von den Corona-Maßnahmen hart getroffene Berufsgruppe aufbegehrt und den Protest zugleich ironisch rahmt. Viele der Beiträge karikieren die politische Rhetorik dieser Tage und schließen mit der euphemistischen Botschaft: »Bleiben Sie gesund und unterstützen Sie die Corona-Maßnahmen.«

Bei Heike Makatsch etwa, die inzwischen ihr Video löschte und sich von der Aktion distanzierte, klingelt‘s an der Tür, aber sie macht nicht auf, »weil ich Verantwortung übernehme. Für dieses Land.« Sie mache sich Sorgen, »dass es da draußen egoistische Leute gibt, die aufmachen wollen«. Ulrich Tukur empfahl schwarzhumorig der Bundesregierung, doch gleich noch alle Lebensmittelläden und Märkte zu schließen. Denn: »Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage.« Jan Josef Liefers übte sich in Medienkritik und bedankte sich in seinem Clip ironisch »bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben«. Nachdem es dafür auch reichlich Lob aus der rechten Ecke gab, teilte Liefers per Twitter mit, dass er »eine da hinein orakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä.« glasklar von sich weise. »Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe, als der AfD.«, so Liefers.

Wenn man einmal davon absieht, dass seine Pauschalkritik »an den Medien« doch reichlich überzeichnet ist, so steckt darin natürlich auch ein Körnchen Wahrheit: Die Versuchung, Ereignisse dramatischer zu schildern als sie eigentlich sind, oder gar aus der Mücke einer beiläufigen Twitternachricht eine elephantöse Empörungswelle zu machen, ist bei Medien, die auf Click-Bites schielen, groß.

Das mediale Echo auf die Aktion ist jedenfalls gewaltig. Alle großen Tageszeitungen von Bild über FAZ bis Tagesspiegel, Zeitschriften wie Spiegel und Focus sowie natürlich auch die elektronischen Medien berichteten darüber. Was hierbei erstaunt, ist jedoch die Heftigkeit der Reaktionen. Vernichtende Kommentare wurden verfasst, Unterstellungen und Vorwürfe wurden geäußert. Pianist Igor Levit etwa twitterte die stumpfste Waffe gegen die Pandemie sei »schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus, der letztlich bloß fader Zynismus ist, der niemandem helfe und bloß spalte.« Jan Böhmermann – als Komiker selbst nicht gerade zimperlich im Austeilen von zynischen Tiraden – startete gar unter dem Hashtag #AlleNichtGanzDicht eine Gegenkampagne und stellte unter seinen Tweet ein Video aus der Intensivstation der Berliner Charité. Stefan Niggemeier vom Online-Magazin uebermedien.de verstieg sich zu der Aussage, dass dies ein »Dammbruch und zugleich der größte Erfolg der Querdenker-Szene bisher« sei. Schauspieler Ulrich Matthes, der sich erst im Februar bei der Kampagne ActOut als was auch immer outete, schlägt in die gleiche Kerbe. Schauspiel-Kollege Elyas M’Barek twitterte »Mit Zynismus ist doch keinem geholfen.«. Das ist sicherlich richtig, aber ist die ganze Kampagne denn wirklich zynisch? Ist sie wirklich eine Verhöhnung der Opfer der Pandemie oder nicht vielleicht doch eine durchaus berechtigte Kritik an den als wenig wirksam wahrgenommenen Maßnahmen einer Regierung, die sich seit März 2020 vom Lockdown über den Lockdown light zur Bundesnotbremse gehangelt hat?

Um maximale Aufmerksamkeit ging es sicherlich. Die wurde durch Prominenz und die Aktion #allesdichtmachen erreicht. Eines nämlich haben all die Kunst- und Kultur-Verbände mit ihren Anliegen, Aktionen, Petitionen, offenen Briefen und dergleichen mehr nicht erreicht: dass die Kunst und Kultur von den politischen Entscheidern als systemrelevant wahrgenommen und in den Maßnahmen entsprechend berücksichtigt wurde. Von Kultur ermöglichen ist jedenfalls in der Bundesnotbremse keine Rede. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn unterbreitete immerhin den Initiatoren der gestrigen Kampagne ein Gesprächsangebot.  »Kritik sei normal«. so Jens Spahn,  »Ich wäre eher besorgt, wenn es keine gäbe.«

Zustimmung bekommt die konzertierte Aktion übrigens auch von der ehemaligen Linken-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht, die twitterte, dass dies eine »klasse Playlist« sei, »in der bekannte Schauspieler/innen ihre Empörung über die aktuelle Corona-Politik wunderbar ironisch zum Ausdruck bringen«. Aber da gab es auch Beifall aus der falschen Ecke. Ist die Botschaft kontaminiert, wenn man in rechten Zirkeln und Parteien oder in Verschwörungskreisen die Video-Statements feiert und für eigene Zwecke benutzen will? Nein. Dies lag gewiss nicht in der Absicht der Initiatoren und es wäre auch eine bewusst in Kauf genommene Falschinterpretation der Aussagen. Denn, obwohl es bislang kein wirklich erklärendes Statement dazu gab, ist doch die Botschaft erkennbar: Allein die verbrauchten Phrasen (seid solidarisch, bleibt zuhause … ) und missglückten Erklärungsversuche der für die Corona-Maßnahmen politisch Verantwortlichen sprechen eine eigene Sprache. Dazu gibt es Gesprächsbedarf. Vor allem dann, wenn auch die Notbremse nicht greifen sollte.