»Was wir vor allem brauchen ist Geduld, viel Geduld«

Prof. Klaus Vogel, Direktor Deutsches Hygiene-Museum – befragt von Annett Groh

Wie haben Sie persönlich die vergangenen Wochen erlebt?

Als eine Zeit großer Heterogenität, zwischen sonnigem Vorfrühling und geordneten Zuständen hierzulande auf der einen Seite, wo gerade maximal ein Hefewürfel fehlt, und der Verzweiflung in unseren Nachbarländern, in die wir so gerne in den Urlaub fahren, auf der anderen. Haben wir eigentlich genügend geholfen?

DHMD Team; Copyright Foto: Oliver Killig

Was sind die größten Herausforderungen, die Sie und Ihr Haus zu meistern haben?

Herunterfahren war keine Kunst, jetzt geht es darum, unsere Besucher*innen wieder für unsere Angebote zu interessieren. Darüber hinaus brauchen wir Fantasie, Durchhaltevermögen, hohe Qualität und leider auch erhebliche Mittel, um die notwendigen Hygienekonzepte umzusetzen. Besonders schmerzlich ist, dass wir viele unserer interaktiven Elemente nur eingeschränkt zugänglich machen können – und das Kinder-Museum muss vorerst ganz geschlossen bleiben. Was wir vor allem brauchen ist Geduld, viel Geduld.

Während der Corona-Krise haben sich viele digitale Kulturangebote herausgebildet. Wie sehen Sie diese Digitalisierung?

So richtig neue Entwicklungen sehe ich eigentlich nicht, aber eine größere Verbreitung und eine aufmerksamere Rezeption. Wir müssen aber auch selbstkritisch auf die derzeitigen Klick-Zahlen sehen, denn wir machen diese coolen Angebote ja nicht für uns. Die Kern-Qualität der Museen ist immer noch, und jetzt umso mehr, die gemeinsame und sinnliche Wahrnehmung von Kunst und Kultur, selbstbestimmt in Zeit und Raum.

Wo stehen Kunst und Kultur, wenn sich der Alltag wieder normalisiert?

Viele Menschen müssen ihren Alltag derzeit unter schwierigen Bedingungen organisieren, das kostet Kraft und Konzentration. Bleibt da genügend Aufmerksamkeit für Kunst und Kultur? In vielen Kulturbereichen gibt es eklatante Flurschäden, da braucht es nicht nur Verständnis und schöne Worte, sondern signifikante, materielle Unterstützung. Die kulturellen Supertanker sind systemrelevant, die werden die Corona-Zeit vermutlich glimpflich überstehen, aber für viele Künstler*innen, für viele kleinere Initiativen sieht es schwieriger aus. Ermutigend finde ich, dass Parlament, Politik und Verwaltung wirklich bemüht sind, schnell und umfassend zu helfen. Es braucht aber auch Selbstbewusstsein auf Seiten von Kunst und Kultur, sich im Rennen um Förderung und Unterstützung zu behaupten.

Was wird sich verändern? Wie ist Ihr persönlicher Blick in die Zukunft aus?

Ich hoffe nicht, dass sich unser Land als Kulturnation grundsätzlich ändert. Krisen bringen ungeahnte Kräfte hervor, aber auch Unverdautes und Risse werden sichtbar. Ich bin bestürzt, wie viel Antisemitismus, Antiamerikanismus und krude Verschwörungstheorien ans Licht kommen, befeuert von russischen Staatsmedien, die einige unserer Mitbürger offenbar verlässlicher finden als die Tagesschau. Eigentlich ist in einer solchen Lage die Selbstverständigungsleistung von Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft gefragt – Aber Kunst und Kultur brauchen gerade selbst Unterstützung und es wird wohl einige Zeit brauchen, bis sie diese Aufgabe wieder erfüllen können. Unsere Museen sehe ich in Zukunft nicht nur als wichtige Bildungsinstitutionen, sondern mehr und mehr als sozialer Ort, als Ort der Verständigung über das, was wichtig ist beim Zusammenleben. Das müssen wir nachjustieren und weiterentwickeln, und das wird sicher ziemlich spannend, sowohl für unser Team als auch für unsere Gäste.