»Wir fahren zurzeit alle nur auf Sicht«

Dresdens Kulturszene in Zeiten von Corona

von Jana Betscher

René S. hatte alles genau geplant und vorbereitet. Seine Anthologie war gerade aus der Druckerei gekommen, auf verschiedenen Lesebühnen der Stadt waren Termine bis zum Sommer vereinbart, das Programm dafür war bis ins Detail ausgefeilt – Es sollte sein großer Wurf als Autor und Herausgeber werden. Und nun: Alles abgesagt, zwei Jahre Arbeit perdu.


Vor ähnlichen Situationen stehen die Mehrzahl der freien Künstler und Kreativen in der Stadt und im Land. »Und die Lage trifft viele ins Mark« berichtet Nils Burchartz, Vorstand beim Branchenverband »Wir gestalten Dresden«: »Eine abgesagte Tour zum Beispiel bringt eine Band schnell in den wirtschaftlichen Totalausfall, denn eine Tour sichert gewöhnlich das finanzielle Auskommen für die Musiker über einen längeren Zeitraum.«

Bei den Akteuren geht zurzeit die Sorge vor einem Flächenbrand in der Kunst-, Kultur- und Kreativszene um. Denn Kultur und Kulturvermittlung gehören zu den arbeitskraftintensiven Produktionsfeldern, auf denen viel an Klein- und Kleinstunternehmer, auch in den technischen Gewerken, outgesourced ist, die mit Honorarverträgen, Einzelaufträgen und Projekten agieren. Dies betrifft nicht nur die einzelnen Künstler oder Künstlergruppen, sondern zieht seine Kreise auch zu den Konzert- und Tourveranstaltern, den Clubs, den privaten Theatern und schlussendlich auch zu den großen und kleinen Kulturinstitutionen.

Denn auch wenn die städtischen und staatlichen Kulturinstitutionen derzeit, zumindest was die Aufrechterhaltung des Betriebes und die Zahlung der Gehälter von den Förderstrukturen abgesichert sind, müssen auch sie in absehbarer Zeit wieder Einnahmen verzeichnen, so Torsten Schulze, Grünen-Stadtrat, der derzeit einen Eilantrag für den Stadtrat am 26. März vorbereitet: »Wir als Stadt sind auch sehr darauf angewiesen, dass wir in unseren Einrichtungen Einnahmen generieren. Und wenn die in Größenordnungen wegbrechen, dann haben wir als Kommune eine deutlich geringe Möglichkeit, dies zu kompensieren.«

Zu Beginn der Krise wurden in Berlin vollmundig große Hilfspakete angekündigt. Nur: Bislang blieb es weitestgehenst bei Ankündigungen, und diese beinhalten in erster Linie Stundungen bei den Finanzämtern, die Anmeldung von Kurzarbeit und erleichterter Zugang zu Krediten. So auch der von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig vorgebrachte Vorschlag, 650 Millionen Euro als sogenannte Nachrangdarlehen an Klein- und Kleinstbetriebe auszureichen.

Eine Herangehensweise, meint Nils Burchartz, die für die Betroffenen ein Danaer-Geschenk ist: »Denn für diese Akteure ist ein Kreditzugang traditionell extrem schwierig. Und die meisten von denen haben keine Rücklagen, und dann noch einen Kredit aufzunehmen, wird deren Lage auch langfristig nicht verbessern. Zumal wir ja auch gar nicht kalkulieren können, wie lange das Ganze andauert und wie dann das Publikum reagiert. Die musikalischen Künstlern, die ich kenne, sind jetzt schon panisch. Die sehen eine Show nach der anderen wird gecancelt, und der Zeitraum wird immer länger. Da ist kein Licht mehr am Horizont. Man darf nicht anehmen, dass die das schon schaffen werden, sie werden es im Zweifelsfall nicht schaffen.«

Einig sind sich Nils Burchartz und Torsten Schulze, dass, ohne den Freistaat und den Bund aus der Verantwortung zu entlassen, von Seiten der Stadtverwaltung die ersten Rettungsmaßnahmen sofort angegangen werden müssen. Torsten Schulze: »Als Stadt sind wir schon ganz gut aufgestellt. Für unsere eigenen Einrichtungen können laufende Kosten gedeckt und gesichert werden. Die Frage ist eben, ob auch Honorarkräfte von der Stadt abgefangen werden. Wir haben in den Museen, an der VHS, an der Musikschule und auch an den Theatern Honorarkräfte. Da wäre es gut, wenn die Stadt von den Honoraren zumindest anteilig etwas bezahlen könnte, um den kompletten Einkommensausfall abzumildern. Von 60 bis 70 Prozent zu sprechen, erscheint mir realistisch.« Und Nils Burchartz ergänzt: »Ich sehe die große Gefahr, dass in einigen Einrichtungen die Mentalität ist: Der Betrieb ist eingestellt, wir kümmern uns um unsere Angestellten, und die Freien können nach Hause gehen, denn die haben ja noch andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Das ist de facto Quatsch. Zum Beispiel sind bei der HSKD sind zwei Korepititoren angestellt und die restlichen elf sind Freie.«

Auch gibt es Überlegungen, wie das Fixkostenpaket für den Kreis der Kulturakteure und -wirtschaftsbetriebe gedeckelt werden könnte. Dazu Torsten Schulze: »Es wäre auch die Frage, ob städtische Versorgungsunternehmen, wie die Drewag, die monatlichen Abschläge reduziert oder stundet. Es gibt die Möglichkeit, die Zahlungen über längere Zeiträume zu strecken oder über die großen Hilfspakete des Bundes, die angekündigt sind, zu holen. Denn eine Rechtsabteilung eines Energieversorgers ist sicherlich effizienter in der Lage, Hilfsgelder einzuwerben als der einzelne Club, das Privattheater.«

Hilfreich wäre sicherlich ein Notfallfond, den man auch auf städtischer Ebene einrichten könnte, »aus zweckgebundenen Haushaltsmitteln, über die der Stadtrat schnell entscheiden könnte«, so Torsten Schulze. Und diese Wirtschaftshilfe sollte auch noch weiterführende Dimension eröffnen, zum Beispiel als Zuschüsse, mit denen privatwirtschaftlich Kulturbetriebe ertüchtigt werden, auch ihren Freien eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Nils Burchartz hält es demzufolge für wichtig: »Wenn es wieder losgeht, braucht es ein kulturelles Konjunkturpaket, um die vorhandenen Strukturen abzusichern und wieder zu beleben, da sind dann auch KSK und Gema in der Pflicht.«

Unklar ist derzeit noch, welche Ausmaße das derzeitige wirtschaftliche Wachkoma erreichen wird. Noch ist gar nicht im Kalkül, dass ja auch die Kulturbesucher, die in der Privatwirtschaft beschäftigt sind, zunehmend von Einnahmen abgeschnitten werden und die Verunsicherung steigt. Auch hier sieht Torsten Schulze die Politiker in der Pflicht: »Es wird nicht über den Virus informiert. Es braucht eine Deadline, damit die Leute wissen, müssen sie sich noch drei Wochen organisieren oder fünf Wochen, oder bis in den Herbst hinein: An der Stelle muss Klarheit geschaffen werden. Auf unabsehbar, damit kann kein Mensch klarkommen und die Panik wird noch zusätzlich geschürt. Die Gefahr einen großen Crashs steigt umso mehr, je länger Unklarheit besteht. Und Nils Burchartz ergänzt: »Wir fahren alle zurzeit nur auf Sicht und das im dichtesten Nebel.«

Aktuell entscheidet der Stadtrat in der Sitzung am 26. März über eine Soforthilfe zur Unterstützung von Kleinstunternehmen, Selbständigen und Freiberuflern als Zuschuss von jeweils 1.000 Euro. Mehr unter www.dresden.de/corona

Aktuell beschlossen wurde die Soforthilfe: www.dresden.de/de/wirtschaft/wirtschaftsservice/soforthilfe-corona.php Unterstützungsprogramme sollen auch von der Bundesregierung und dem Freistaat Sachsen auf den Weg gebracht werden.

Update 29.3.2020. Inzwischen ist auch das Soforthilfeprogramm des Bundes für Selbständige, kleine Unternehmen, Freiberufler und Landwirte durch die Länder angelaufen: bundesfinanzministerium.de

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