Zur Neuinszenierung von Stephen Olivers Kammeroper »Mario und der Zauberer« an der Semper 2
Hat man bei den heutzutage so gern inszenierten Bühnenadaptionen von klassischen oder gerade viel diskutierten Erzählungen und Romanen oft den Eindruck, als werde die Handlung nur als bebildertes Hörbuch auf der Bühne erzählt, so gelingt Stephen Oliver mit seiner Opernfassung der Novelle von Thomas Mann dramaturgisch ein wirkliches Glanzstück. Der in der Novelle sonst so nervige Erzähler wird gestrichen und alle Handlung in dramatische Bühnenhandlung übersetzt. Die Bühne wird dem Spiel der Figuren überlassen, es wird nicht erzählt, sondern konsequent dargestellt! Und die Geschichte, eine psychologisch feine Studie über autoritäre Manipulationstechniken, bleibt spannend: »Bella Italia« war schon zu Thomas Manns Zeiten das Urlaubsmekka der nebel- und regengeplagten Nordländer und die Touristen willkommene Opfer für Scherer und Schröpfer aller Art. In dem Einakter von Stephen Oliver wird die schöne Urlaubsidylle von Anfang an düster eingefärbt. In dem Provinznest Torre di Venere scheinen sich alle gegen die gute Familie aus dem fernen Deutschland verschworen zu haben, bis auf die Wirtin des Hotels und den allzeit freundlichen Kellner Mario. Man reist also nicht ab, zumal man die Aufführung des Zauberers Cipolla nicht versäumen will. Cipolla – bühnenpräsent und musikalisch überzeugend dargestellt von Markus Butter – rühmt sich, den Willen aller Menschen steuern zu können. Mit psychologischer Finesse, Hypnose und taschenspielerischer Geschicklichkeit findet er bei allen Versuchspersonen, die in einer Art von Zweikampf gegen ihn antreten, um ihre Selbstbestimmung zu verteidigen, die verletzliche schwache Stelle.
Die Musik der Kammeroper von Stephen Oliver ist eine solide und griffige Theatermusik, die das Geschehen sehr schön und sinnfällig zu modellieren vermag – auch wenn man sich zuweilen eine etwas weniger eindeutige musikalische Abbildung der Geschehnisse, weniger dick aufgesetzte musikalische Gesten hätte wünschen können. Der Inszenierung von Manfred Weiß ist das geringe Budget durchaus anzumerken – doch ist dies kein Manko. Weiß gelingt es, mit sparsamen Mitteln, die beeindruckende Dramatik des Einakters auf die Bühne zu transportieren. Das dramatische Kraftfeld der Handlung wird sehr nah an das Publikum herangebracht, wenn die Zuschauer auf der als Ballsaal dekorierten Bühne Platz nehmen, und so als Statisten selbst Teil der Handlung werden. Die Grenzen zwischen Bühnen- und Zuschauerraum verwischen während der Zauberaufführung, und die vorgeführte Verführungskunst wird auch ein wenig unheimlich. Darüber und mit den großen Fragen nach Selbstbestimmung und Willensfreiheit im Schlepptau, kann man nach der Aufführung weiter sinnen. Ganz passend für die bevorstehende Adventszeit. Aron Koban

Nächste Termine: 26./28.11. sowie 1./3./4./11./13./15./28./29.12.2012



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