Introspektiv, nicht verklausuliert – Hellerau präsentiert zwei Choreographien, die nichts miteinander zu tun haben, aber Ähnlichkeiten aufweisen.


Es ist der nach innen gekehrte Blick, der »Hierarchy of Clouds« des Portugiesen Rui Horta auf eine vergleichbare Ebene mit der überarbeiteten Version der »Monsterbox« (the guts company) stellt. Rui Horta beginnt mit einer langen, weißen Papierbahn, die eine Tänzerin quer über die Bühne ausrollt und so verformt, dass sich das Bild von Wolken unmissverständlich aufdrängt. Was sich vor diesen Wolken abspielt, erscheint zunächst als Traumstudie, abwesend, getragen von einem Klavierstück mit leichten Störgeräuschen. Diese Form der Kontemplation ist angenehm, führt allerdings nirgendwohin. Später wird man sehen, warum. In einer Art schwebendem Zustand verharrt die Musik für lange Zeit und retardiert dadurch auch die Dramaturgie. Kurz: Es wird auf der Stelle getreten. Kein Spannungsbogen. Das ist nicht leicht durchzustehen. Der Sinn des ganzen erschließt sich aber ganz am Ende.


Zunächst beginnt die Ruhe allmählich zu kippen. Eine Tänzerin beginnt ohne ersichtlichen Grund zu lachen und verfällt in eine Art spastische Hysterie. Das ist der Auftakt für eine Sequenz, in der der Tanz reiner Performance weicht, die an die Pausenlosigkeit, die Getriebenheit europäischer Großstädter erinnert. Auch diese Stadt schläft nie. Nur in der Aktion entsteht das Gefühl des eigenen Vorhandenseins. Selbstbestätigung durch unausgesetztes unterwegs sein. Ruhelos werden Gesten, die ursprünglich Entfremdung spiegeln, zu eigentlichem Inhalt. Eine Tänzerin hält sich ein Blatt Papier vor das Gesicht wie eine Maske, durch die sie zwar nichts sieht, von der sie aber meint, dass sie ihr Identität verleiht. Im Hintergrund grimassiert ein Tänzer. Stumme Schreie, ungehört. Papierkugeln fliegen durch den Raum. Aggression ohne Adressaten. Hauptsache, weiter. Immer weiter. Irgendwann, wenn gar nichts mehr geht, hält man einfach etwas hoch, möglichst bedeutungsschwanger. Hauptsache, man macht jetzt mal irgendwas und wird dadurch wahrgenommen. Hoffentlich.


Vereinzelt sind aus dem Publikum Lacher zu vernehmen. Es ist eine Art verzweifelte Komik einer Leere ohne Sinn, in der jeder für sich bleibt. Nähe scheint ausgeschlossen. Desto intensiver fällt der Moment aus, in dem sich zwei Tänzer umarmen. Aufflackern des Menschlichen, ganz kurz. Das alles könnte man als bedeutungslos abtun, würde sich das Stück nicht an seinen Anfang zurück begeben. Die Tänzer formen aus feinem Draht ein filigranes Wolkengebilde, das sich im grellen Licht aufzulösen scheint wie eine Schäfchenwolke in sommerlicher Mittagshitze. Auch die Musik wirkt wieder ähnlich wie am Anfang; es wird wieder getanzt. Und da ist sie wieder, diese Sensibilität des Miteinanders, des Füreinanders. Rui Horta liefert hier ganz klar eine Arbeit über den Menschen, der in seiner Verletztbarkeit oft so hilflos wirkt.


Hilflos und verletzbar sind auch die Wesen, die Johanna Roggans (Choreografie) »Monsterbox« bevölkern. Unsicher suchen sie den Schutz der Gruppe, fliehen aus der Mitte des Raumes in den Hintergrund, an die Wände. Diese irrwitzigen Geschöpfe sind wie ein Surrogat des Menschen. Nur, wer lässt schon gern das Monster in sich zu? Was aber genau ist ein Monster, wenn die Angst dieser Geschöpfe hier die Angst des Kindes vor Unbekanntem zu sein scheint? Jeder Moment birgt das Potential für Verunsicherung. Genau deshalb ist Nähe so wichtig und wird in auffälliger Intimität mit Nachdruck gesucht.


Die Arbeit, die bereits im Juni im Societaetstheater zur Uraufführung kam, ist deutlich gekürzt worden, was der Aussage definitiv gut tut. Auch durch die Bühnensituation der Südempore im Festspielhaus ist eine andere, unmittelbarere Atmosphäre entstanden. Der Zuschauer fühlt sich eher mit eingeschlossen in diesem Raum und wird gezwungen, die Vorgänge auf der Bühne zuzulassen. In einer neu hinzugefügten Szene ziehen die vier zärtlichen Scheusale Alltagskleidung über ihre Kostüme, die sie zuvor noch so randständig haben wirken lassen. Plötzlich erscheinen sie wie Menschen. Aber eben nur fast. Denn unter der Oberfläche des »Normalen« bewegen sie sich noch immer, die Monster. Am Ende verschwinden sie zwar wieder dorthin, wo sie herkamen, löschen dadurch aber nicht ihre Existenz aus.


»Monsterbox« ist für den 1. Sächsischen Tanzpreis nominiert. Ob the guts company mit ihrer neuen Version die Jury überzeugen konnten, wird Anfang kommenden Jahres bekannt gegeben. Dann nämlich erst fällt die Entscheidung.

Rico Stehfest / Fotos: Klaus Gigga (»Hierarchy of Clouds«), Benjamin Schindler (»Monsterbox«)

Nächste Vorstellungen: Rui Horta »Hierarchy of Clouds«, the guts company »Monsterbox« am 4.10.2014, 20 & 21.30 Uhr Festspielhaus Hellerau



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