Holzköpfe auf dem Grill – Der Theaterkahn bringt mit »Extrawurst« das Stück der Stunde

23. September 2020 – Landauf, landab wird sie gerade gespielt, die Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob, in der sich die Mitglieder eines Tennis-Clubs in der Provinz nicht darauf einigen können, ob neben dem neuen Grill noch ein weiterer zugelegt werden soll, auf dem schweinefleischfrei gearbeitet werden kann. Schließlich ist Erol (Matthias Grünewald) mit türkischem Migrationshintergrund entsprechenden kulturellen Gepflogenheiten verpflichtet. Er aber ist der Einzige, der gar keinen gesonderten Grill als nötig erachtet.


Arne Retzlaff hat hier die Regie übernommen und lässt das Publikum ganz direkt Teil der Versammlung sein. Wenn einige der Darsteller inmitten des Publikums sitzen, wird man unfreiwillig zum Beteiligten an Entscheidungsprozessen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Das hier ist ein Mikrokosmos mit sehr eng beieinander stehenden Wänden.
Die Inszenierung kommt etwas laut daher gepoltert, die eine oder andere männliche Figur wird etwas überzogen dargestellt. Ist halt eine Komödie. Und bei einer Vereinssitzung geht’s eben herzlich zu, Schwamm drüber.
Man darf sich allerdings zu Recht fragen, was das Stück gerade aller Ortens auf den Spielplänen nach oben spült. Nahe liegt, darin einen gekonnten Kommentar zur momentanen Lage der Nation entdecken zu können. Die Antwort darauf lautet: Jein. Im Grund ist es so: Umkränzt von der obligatorischen Phalanx mehr oder minder großer Pokale klatscht hier jeder seinen Senf in die Runde. Ganz so, als wäre die Anschaffung eines neuen Grills eine Staatsaffäre. Natürlich geht es im Kern nicht um den Grill, das ist klar.


Warum sich aber alle gegenseitig an die Gurgel gehen und es von der Definition der »normalen Wurst« über die der »Türkenwurst« bis hin zu immer kruderen Konstrukten kommt, liegt schlichtweg an der Unfähigkeit aller Beteiligten in Sachen Kommunikation. Und im Mangel an der nötigen Fähigkeit zur Differenzierung. Argumentation ist somit gar nicht möglich; es ist absurd, dass die Protagonisten ihren »Austausch« einen Streit nennen. In Wahrheit plärren alle nur durcheinander. Keiner hört dem anderen zu. Alles wird mit dem Vorwurf des Sarkasmus abgewatscht, obwohl es sich im meisten der Fälle um Ironie handelt.


Da heißt es ganz vorbildlich, zur Demokratie gehörten Diskussionen. Hier aber weiß es jeder besser und tatsächlich eigentlich nichts. Diskussion findet nicht statt. Kindische Reaktionen wechseln sich mit sinnleeren psychologischen Druckmitteln ab. Alle sind so kleinlich wie kleingeistig. Aufgestaute Vorurteile brechen sich Bahn, Missverständnisse treten zu Tage, deren Ursache akuter Mangel an Kommunikation ist. Alle sind bis aufs Blut gereizt und lassen keine Gelegenheit ungenutzt, beleidigt zu sein. Als wäre es eine Pflicht, die Dinge falsch zu verstehen.


Das Publikum amüsiert sich köstlich. Wer kann solche Schießbudenfiguren schon ernst nehmen? Und plötzlich kratzt man sich am Kopf. Genau so kommunizieren ja tatsächlich nicht wenige unter uns. Amüsant ist das eigentlich gar nicht. Das wirft die interessante Frage auf, inwieweit das Stück im Sinn einer Komödie damit eigentlich seine Figuren überzeichnet.

Rico Stehfest / Fotos: Carsten Nüssler

nächste Vorstellungen: 23., 27. September, 11. und 20. Oktober



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