Getting Friendzoned – Dostojewskis »Weiße Nächte« im projekttheater


20. Juni 2021 – Alles fängt so harmlos an, so schön. Sie lernen sich über das Internet kennen. Sie, jung, unschuldig, wartend eigentlich auf einen Anderen, dem ihr Herz gehört. Er, ein Träumer, vorsichtig, aber trotzdem voller Lebensmut. Seine Mütze wird ihn schon vor dem Ärgsten beschützen. Was entsteht zwischen diesen Beiden, zwischen den beiden Bildschirmen der Laptops? Wie konkret diese Gefühle auch sind, sie werden dem nötigen Praxistest unterzogen, wenn er und sie sich schließlich tatsächlich treffen. Dann wird sichtbar, wie schwer es sein kann, innerlich zueinander zu finden.


Dostojewskis Novelle »Weiße Nächte« hat grundsätzlich etwas Tröstendes, wenn Nastenka sich am Ende für den entscheidet, der die ganze Zeit abwesend ist, dem anwesenden Träumer aber gleichzeitig ihre Freundschaft zusichert. In einem romantischen Sinn mag das schön sein. In Wahrheit will das kein Mann erleben. Eine Frau übrigens auch nicht. Es gibt kaum etwas Unerträglicheres als friendzoning.


Die Arbeit unter der Regie von René Rothe vermittelt die räumliche Distanz der digitalen Verbindung zwischen ihr und ihm am Anfang per Film. Dabei bleibt es nicht bei reinen Dialogen. Der Zuschauer erfährt auch die inneren Prozesse, vor allem die des Mannes. Von außen betrachtet ist dieses Miteinander, aus heutiger Sicht, mehr als 150 Jahre nach dem Erscheinen von Dostojewskis Text, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zu gut sind uns allen die Unwägbarkeiten des digitalen Austausches bekannt.


Die Besonderheit der Inszenierung liegt in der Tatsache, dass sie sich komplett auf Dostojewskis Text verlässt. Da ist nichts aktualisiert, nichts ins virtuelle Zeitalter gezogen. Dadurch steht für die Dauer des Stücks die Frage im Raum, wie sich das Damals und das Heute miteinander abgleichen lassen. Gestalten wir heutiges Miteinander anders oder sieht es nur anders aus? Wie viel Desillusionierung erfährt der Mann am Ende eigentlich wirklich? Um das herauszufinden braucht es einiges an Geduld. Die Textlastigkeit lässt die Inszenierung etwas aktionsarm erscheinen. Es lohnt sich aber, genau hinzuhören.

Rico Stehfest / Fotos: Eric Jacob

Nächste Vorstellungen: 20. Juni, projekttheater, 20 Uhr und 3./4. Juli im Jugend- und Kulturzentrum Theater Variabel Olbernhau



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