Erinnerungskultur – die bühne eröffnet ihre neue Spielzeit mit »Als wir (noch) träumten« von Armin Petras nach dem Erfolgsroman von Clemens Meyer
1. November 2015 – Diskussionen gibt es keine (mehr). Clemens Meyers Roman »Als wir träumten« gilt unumstritten als großer Wenderoman, als ein Buch, wenn nicht gar das Buch der ach so wilden Jahre unmittelbar nach der Wende. Jung waren damals alle, alles stand offen, jedem. Verlockungen, Verheisungen. Größeres Kino geht wohl kaum. Und die Leipziger Clique, die Meyers Roman besiedelt, scheitert auf voller Länge an den Möglichkeiten. Ihnen ist alles zu viel, zu groß. Dabei ist es ja eigentlich nur das Übliche: Drogen, Partys, Schlägereien, Knast und natürlich Liebeleien. Identität sieht ja aber eben anders aus, alles vergebens. Der Erfolg des Romans basiert wahrscheinlich nur auf vermeintliche Authentizität stiftenden autobiografischen Details des Autors.


An der bühne staksen diese Jugendlichen, deren Darsteller allesamt in einem Alter sind, jene Zeit selbst in den Windeln durchlebt zu haben, über alte Matratzen, die schon so einiges mitgemacht haben. Vielleicht sogar mehr als die Darsteller, wer kann das schon so genau sagen. Genau das ist ja der Punkt: Wie war es denn damals wirklich? Wie lief das denn alles tatsächlich ab? Das Programmheft führt deshalb mit einem klugen Ausschnitt aus Harald Welzers Abhandlung über »Das kommunikative Gedächtnis« die nötige Diskursivebene an. Auch Erinnerungen sind Konstrukte, die unzuverlässig sind, egal, wie plastisch sie einem vor dem inneren Auge stehen mögen.


Die Matratzen werden umgeschichtet, verworfen, sind mehr Hilfsmittel als verlässliches Bühnenbild. Aktionismus wird groß geschrieben. Natürlich spricht das für sich. In Zeiten des Umbruchs ist alles ungesichert, undeutlich. Wie unsicher eben auch jene Erinnerungen sind, zeigt eine Szene, die wiederholt abgebrochen und neu begonnen wird, weil es doch eigentlich ganz anders war, damals. Diese kleine, leichte Metaebene ist aber der einzige Ausbruch aus dem Erzählvorgang.


Die Dramaturgie springt unermüdlich zwischen Anfang und Ende aller Ereignisse umher, nicht immer ist ganz klar, an welchem Zeitpunkt man sich gerade relativ in der Geschichte befindet. Das liegt aber grundsätzlich an der Vorlage. Clemens Meyers Roman legt keinen Spannungsbogen vor. Entsprechend schwer ist es, aus dem Material einen herauszuschnitzen. Also wird eine perspektivische Klammer gewählt: Zu Beginn berieselt eine sozialistische Volksweise den Zuschauer, die unmittelbar vor der Wende subpolitische Instrumentalisierung, also eine gewisse Umdeutung erfuhr und folglich auch hier ihre vermeintliche Unschuld ziemlich schnell verlieren soll. »Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer«. Wie wahr, wie wahr. Ein zum Menetekel aufgeladener Hintergrund, der am Ende verballhornt wird. Unsere Städte und Dörfer, das ist auch das Navi, das uns sagt, wann wir abbiegen sollen. Will meinen: Was ist nur aus uns geworden? Darauf gibt es auch nach ganzen zwei Stunden nur Achselzucken.





Rico Stehfest

Nächste Vorstellungen: 1., 6.-8. November, die bühne der TU, jew. 20.15 Uhr.



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