Die Forsythe-Company mit »Stellentstellen« im Festspielhaus Hellerau
Ein zweiteiliger Abend ist es dieses Mal, der einstündigen Arbeit »Stellentstellen« vom Februar diesen Jahres stellt Forsythe sein halbstündiges »Whole in the Head« aus dem Jahr 2010 voran. Und es sei gleich festgehalten: Ein einfacher Abend ist das nicht. Das soll aber niemanden abschrecken.
David Kern betritt zu Beginn die Bühne und gibt einen kümmerlichen, fast fragmentarischen Tarzan-Schrei von sich. Er gibt hier den Initiator und die Leitfigur, gleichzeitig aber auch den Störfaktor in einem scheinbar nicht gänzlich ernst gemeinten Kinderspiel. Thom Willems‘ Klangteppich wirkt, als liefe er rückwärts, ein Uhrwerk in einem nicht gänzlich unbestimmten Raum. Trotzdem bleibt alles vage, verhalten. Ist es möglich, sich nicht zu positionieren? Ist es möglich, sich nicht mitzuteilen? Die Frage bleibt ohne Orientierung.
Auch wenn man sich in beiden Stücken zeitweise Gehörschutz wünscht, bietet »Stellentstellen« viel Raum für leise Töne. Töne, die immer zarter werden und in ein Nichts wie in eine Art Stillstand münden. David Kern versucht hier, einer Gitarre Töne zu entlocken, Bruchstücke, mittels derer er Cyril Baldy ein Exerzitium grober und ungelenker Bewegungsabläufe durchlaufen lässt. Ander Zabala steht geduldig stumm dabei und zeigt abwartend wieder sein komisches Talent, wenn er kleine Staubfusseln auf dem Boden eingehend untersucht. Nach dieser chaplinesken Einlage ist auch er dran: Das Ensemble durchläuft im Wortsinn endlose Wechsel auf dem Weg der Position(ierung)ssuche. Die Tänzer verknoten sich paarweise zu unentwirrbaren Gebilden und verharren so, entspannt, nur in winzigsten Variationen. Weitere Tänzer stehen daneben, andächtig, fast wie respektzollend. Und in jedem Fall gänzlich ohne Zeitdruck. Einfach so. Teilweise liegt die Assoziation zu Aufsichtspersonal in einem Museum nahe, dicht neben dem Kunstwerk stehend. Dann wieder wirken die Bilder wie Filmstills. Die Tänzer sind »durch-einander«; sie sind gemeinsam nichts.
Es wäre mühsam, anzumerken, Forsythe würde sich stets an den gleichen oder wenigstens ähnlichen Fragen abarbeiten. Das ist hinlänglich bekannt. Forsythe liefert nie Antworten auf dem bekannten Silberteller. Und so ist die Frage nach der Zugänglichkeit dieses wunderbar frei schwebenden Abends die Frage nach der Kommunizierbarkeit des Innerlichen (»head«) durch Körperlichkeit. Es ist zum Teil ein Aufruf zur Positionierung, nur ohne Ende, weil keine Position endgültig ist. Die des Tänzers ebenso wenig wie die des Zuschauers. So hört der Abend auf, ohne zu einem Ende zu finden. Forsythe zeigt erneut, dass Tanzen ein Prozess ist, kein Zustand. Und eine Choreographie ist keine Lösung, sondern ein Moment. S.R.

Nächste Vorstellungen: 16./19.-22. September 2012, 20 Uhr; Publikumsgespräch mit William Forsythe und Dieter Jaenicke: 19. September, 19 Uhr, Nancy-Spero-Saal Festspielhaus Hellerau



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