Der Alkohol ist ein Lügner – Jan Baake erschüttert als »Der Trinker« im Zentralwerk

12. September 2020 – Eigentlich scheint mit Erwin Sommer (Jan Baake) erst mal alles in Ordnung zu sein. Der Zwirn ist sauber, die Krawatte sitzt. Nur ist er eben innerlich an einem Punkt angelangt, an dem sein Leben im Eimer ist. Während der Kaufmann aus Falladas Roman erzählt, was er erlebt hat, was ihn zum Trinker gemacht hat, richtet er immer wieder beschämt den Blick zu Boden. Er ist ein Pedant, aber vielleicht hat ihn der Alkohol erst zu einem gemacht. Schuld sind bekanntlich immer die Anderen. Deshalb haben Sommers Worte irgendwie auch etwas von einer Beichte. Klar, ihm ist bewusst, wie unschön das alles ist. Nur kann er eben nichts dagegen tun.


Zeitlebens, so sagt er, habe er nach Liebe und Anerkennung gedürstet. Und er hat sie auch bekommen. Aber so, wie er im Kleinen Saal des Zentralwerks steht, barfuß auf dem blanken Betonboden, ist ihm nichts geblieben außer brennender Reue, Scham, Tränen. Bittere Tränen, bange, lösende.


Natürlich war zu anfangs alles ganz entspannt. Die Gewohnheit der kleinen Gläschen am Vormittag hat doch durchaus etwas weltmännisch Gewandtes. Nur der kleine Geist lässt sich gern die Freiheit nehmen. Irgendwann aber beginnt er allein über die bloße Gegenwart seiner Gattin Magda zu fluchen. Diese steht zwar eine ganze Weile mit der Geduld eines Gotteslamms an seiner Seite, aber auch das wird sein Ende haben, wenn der Alkohol die Oberhand gewinnt. Es war die grandiose Sängerin Cat Power, die selbst lange Jahre ganz unten am Boden des Schnapsglases zuhause war und die Alkoholsucht auf eine eindringliche Formel gebracht hat: »You drink and drink and drink and drink and drink.« Das war‘s dann irgendwann.


Es gelingt Sommer zwar zunächst, sein Trinkverhalten als Durchgangsstation schönzureden, am Ende aber gesteht er ein: Er ist ein Kandidat des Nichts. Am Ende eskaliert Sommers Leben. Er wird für geisteskrank und gemeingefährlich erklärt. Dann steht er da, hilflos im besudelten Unterhemd.


Unter der Regie von Ute Raab, die als letztes den »Gestiefelten Kater« an den Landesbühnen inszeniert hat, gelingt hier ein eindringlicher Blick in die menschliche Verletzbarkeit, der den ersten Teil einer Trilogie zum Thema Rausch bildet. Untermalt wird dieser mit den Klängen von Tobias Herzz Hallbauer, die äußerst feinfühlig und zurückhaltend dem Text untergeschoben sind und so kaum merklich atmosphärische Akzente setzen. In diesem Raum des Unwohlseins war während der Premiere im Publikum immer wieder vereinzeltes Gekicher zu vernehmen. Allerdings hat die Tragik so gar nichts Komisches an sich. Entlässt das Gekicher die Figur aus ihrer Verantwortung?


Die Inszenierung bemüht nicht den pädagogischen Impetus der Warnung vor dem süchtig machenden Rausch. Viel eher stellt sie die Frage nach dem Warum. Was bringt einen Menschen so weit, dass der Kontrollverlust unausweichlich wird? Ist am Ende genau das die eigentliche Absicht dahinter? Oder gibt es einfach keine? Es heißt im Text, der Mensch müsse etwas haben, in das er sich flüchten könne. Dann also doch alles nur ein Fall von Kleingeistigkeit?

Rico Stehfest / Fotos: René Jungnickel

nächste Vorstellungen: 12. ,13., 15.-17. September im Zentralwerk, jeweils 20 Uhr.



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