Das große Gähnen
– Bandstand 2020, Tag 1 in Hellerau. In der Ausstellung im Ecksalon Ost des Festspielhauses Hellerau sieht man ein totes Insekt, dessen Flügel sich per Knopfdruck in Bewegung setzen lassen. Hilflos flattert der Körper vor sich hin, von der Stelle kommt er selbstverständlich nicht mehr. Ganz ähnlich, so der Eindruck nach dem Freitagabend des diesjährigen Bandstand, verhält es sich mit der Dresdner Indie-Rock-Szene.

Besonders der Anfang ist katastrophal. Die Band Alice Roger verübt unangenehme Rocker-Posen vor einem halbleeren Raum, glücklicherweise übertönen die Altherren-Gitarrenriffs die biederen Songtexte (Beispiel: „Wir spüren heute keine Wut, denn wir springen in die Flut!“). Parallel zwei Türen weiter: Jonethen Fuchs tritt auf. An die allseits beliebte Band The BossHoss erinnernd, erklingen hier furchtbar einfallslose Country-Rock-Melodien, ein eigener Stil ist nicht einmal mit der Lupe zu erkennen. „Bald spielen wir in Katy’s Garage, muss man sich geben!“, posaunt der Sänger vor dem letzten Lied. „Nein“, möchte man ihm zurufen, danach hat das Konzert immerhin bald sein Ende erreicht. Dann geschieht etwas unglaubliches: Andi Valandi kommt auf die Bühne. Er sieht ein bisschen aus wie King Krule nach drei Tagen ohne Schlaf und permanentem Zugang zur Altkleidersammlung: Blumenleggings und ein Tanktop mit der Aufschrift „Love“ zieren seinen Körper, sein Kollege mit dem Umhängekeyboard sieht ein bisschen aus wie DJ Ötzi, beide sind barfuß (fairerweise muss an dieser Stelle noch die etwas adretter gekleidete Schlagzeugerin erwähnt werden). Na ja, es kann nicht schlimmer werden als zuvor, und tatsächlich: Andi Valandi ist der erste Lichtblick des Abends. In rotziger Rio Reiser-Manier singt Valandi Zeilen wie „Du bist auf Snapchat, ich auf Meskalin“ oder „Arbeitslosigkeit ist anstrebenswert“, hinter der Band erstrahlen grobkörnige Bilder des Dresdner Wagenplatzes auf der Leinwand. Mehrmals vergisst Valandi den Text und bricht Lieder mittendrin ab, weil ihm „jemand Drogen ins Getränk getan hat“ oder so. Macht nichts, zum Glück nimmt er sich nicht so bierernst wie seine Vorläufer – ein zu dieser Zeit dringend benötigter Hauch von Punk zieht durchs Festspielhaus, so kann es weitergehen.

Cedric heißt die Band, die als erste auf der Hauptbühne spielt. Schon der Anfang klingt nach Rammstein auf Stadiontournee, dick aufgetragen wäre hier fast noch untertrieben. So geht es leider auch weiter, der musikalisch immerhin gut vorgetragene Postpunk der Band trieft so sehr von Pathos, dass es kaum auszuhalten ist. Inzwischen können einem die Veranstalter des Bandstands schon ein wenig leid tun, schließlich muss mit dem Bandmaterial gearbeitet werden, das in der Region verfügbar ist. Das Festspielhaus ist wie immer ein architektonischer Genuss, auch die anfänglich erwähnten Ausstellungen sind durchaus gelungen. Im Westflügel des Hauses befindet sich eine Art interaktives DJ-Pult für Dummies, das durchaus Laune bereitet, auch die Installation „Music is my radar“ schafft etwas Ablenkung vom bisherigen Programm. Danach wird es tatsächlich wieder etwas besser. Jaguwar betreten die Hauptbühne und siehe da – der Shoegaze-Sound der Band kann den Raum tatsächlich ausfüllen. Zudem ist die Energie der Sängerin herrlich ansteckend, stimmige Rhythmuswechsel führen durchs Programm. Eine angenehme Abwechslung, auf die zur Abwechslung ein erneuter herber Dämpfer folgt.

Die Tourette Boys, einigen sicherlich durch stark frequentierte Sticker in der Dresdner Neustadt ein Begriff, bespielen den Nancy-Spero Saal. War die Ideenlosigkeit bei den ersten Bands noch einigermaßen verzeihlich (schließlich muss man sich ja auch erstmal rantasten oder so), ist der Auftritt dieser Band schlichtweg ärgerlich. Ja, einige Personen im Raum nicken während des Konzertes sogar mit dem Kopf (!), dennoch ist die Klangästhetik, die nach Sachsen-Doors klingt, wahnsinnig konservativ. Auch hier fehlt jede Spur des Drangs, mal von der reinen Reproduktion des bereits Dagewesenen abzuweichen, bierernst steht die Gruppe auf der Bühne und schrammelt ihre Songs herunter.

Nun kommt Paisley. Als letzte Band auf der Hauptbühne ist nun das Rampenlicht auf eine Band gerichtet, die in den letzten Jahren nun auch nicht gerade durch innovative Musik aufgefallen ist. Doch ein Wunder geschieht: nach dem Opener „Say My Name“, der nach klassischem Britpop-Abklatsch klingt, kündigt Sänger Liam Floyd vier neue Songs an. Und Paisley schaffen es doch tatsächlich, sich den musikalischen Union Jack vom Körper zu reißen und mal etwas anderes zu machen. Durch die Hinzunahme zweier neuer Bandmitglieder (eine der beiden bedient einen Synthesizer) wird dem Britpop-Sound eine Prise Metronomy beigemischt, zudem werden instrumentelle Räume für das durchaus virtuose Spiel des Bassisten Fabi Catoni geöffnet. Eine erfrischende, wenngleich sicher noch nicht abgeschlossene Entwicklung, die gespannt macht auf mehr.

Schließlich neigt sich der Abend dem Ende zu. I Drew Blank (die Sängerin lässt sich unschwer als diejenige von Jaguwar identifizieren) besteigen die Bühne. Das ist dann noch einmal ganz nett zum Abschluss, wirklich spannend wird es aber auch nicht mehr, zu generisch der Klang. Nun gut, genug gesehen (der Autor entschuldigt sich an dieser Stelle dafür, das ein oder andere Konzert verpasst zu haben, schließlich muss man auch mal die Toilette besuchen), die elektronische Musik von Zebra Centauri muss nun auch nicht mehr unbedingt sein. In einer Traube anderer Besucher geht es nach Hause, wo erfrischendere Musik wartet.
Anton Schroeder

Teil 2 des Bandstand 2020 folgt am 15. Februar um 20 Uhr im Festspielhaus Hellerau, Line-Up unter www.hellerau.org/de/festival/bandstand-2020/



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