Brav gestorben – Die Semperoper zeigt mit »Romeo und Julia« von David Dawson eine eher unauffällige Choreografie


06. November 2022 – Handlungsballette sind im Vergleich zu abstrakten Choreografien eine sichere Bank. Und wenn man sich nicht aus dem Fenster lehnt, ist das Publikum zufrieden. So war im Vorfeld nicht zu erwarten, dass David Dawson in seiner neuen Arbeit »Romeo und Julia« für die Semperoper irgendwas gegen den Strich bürsten würde. Neoklassisch, getragen, gediegen, brav. Im Ergebnis heißt das aber leider auch: ein bisschen klischeehaft, ein bisschen langweilig.


Jérôme Kaplan hat hier eine Bühne gebastelt, die in ihrer granitgrauen Sterilität die Ästhetik eines Hotelbadezimmers hat, das mit seinen Treppen und Rundbögen von H.C Escher erdacht worden sein könnte. In diese Kälte packt er einfarbige, klassisch anmutende Kostüme, die dankenswerterweise zum einen die verfeindeten Clans voneinander trennen und zum anderen auch im Pulk alle wichtigen Charaktere schnell finden lassen. Originell ist das aber nicht. Die Montagues sind wie immer die schmissigen, wieselflinken Sympathieträger und kommen entsprechend in hellen, freundlichen Cremetönen daher. Die »bösen« Capulets sind wieder die Steifen, deren dunkle Farbigkeit als Gegensatz fast bedrohlich wirkt. Einzig Lady Capulet (überwältigend in ihrer stillen Größe: Sanguen Lee) strahlt in ihrer roten Robe wie ein Funken Hoffnung. Ausrichten kann sie aber bekanntlich auch nichts.


Dass Julias (Ayaha Tsunaki) Ausstattung nur einen Hauch von weiß entfernt ist, verbindet sie zwar direkt mit Romeo (Julian Amir Lacey), der tatsächlich konsequent in Weiß daher kommt, nur ist Julia damit (noch?) keine Capulet, sondern eben eher eine Montague. Ob das so beabsichtigt ist, erscheint fragwürdig. Trotzdem funktioniert diese farbliche Nähe zwischen Romeo und Julia selbstredend.

Ayaha Tsunaki gestaltet ihre Titelrolle zu anfangs frisch und mit unbeschwerter Kindlichkeit. Im Lauf des Abends gelingt ihr dabei ein Reifeprozess, der sie zu einer Frau werden lässt, deren innere Kämpfe authentisch sind. Mit Romeo stellt ihr Julian Amir Lacey allerdings keinen stürmischen jungen Mann der Leidenschaften an die Seite. Vielmehr wirkt dieser Romeo äußerst bodenständig und verlässlich; selbst die Tötung Tybalts (als aufgeblasener Hampelmann: Marcelo Gomes), die ja völlig im Affekt erfolgt, wirkt hier fokussiert. Ohne großes Gewese überwältigt Romeo seinen Gegner und schickt ihn flugs über den Jordan.


Es sind damit einzelne Momente, in denen die Charakterzeichnungen gut funktionieren, sich aber weniger aus dem choreografischen Ansatz speisen, sondern szenisch interessant sind. So darf Jón Vallejo, der bereits 2013 in Stijn Celis‘ Choreografie den Mercutio tanzte, dieses Mal sogar ein bisschen komisches Talent zeigen. Als Energiebündel tanzt er wie erwartet alle männlichen Kollegen an die Wand und stirbt einen Tod, der weniger Schmerz als Verzweiflung und Aggression trägt.


Das sind die Momente, die den Abend tragen. Die Choreografie selbst erscheint da fast zweitrangig. Und so ganz »zurechtgetanzt« hatten sich offenbar zur Premiere noch nicht alle. Da schien Lacey mit den Hebefiguren zu kämpfen; die Synchronizität zwischen ihm, Benvolio (Alejandro Martínez) und Mercutio war schlichtweg nicht vorhanden. Damit bleibt es ein »netter« Abend, der aber kein großer Wurf ist. Das Premierenpublikum zeigte sich trotzdem ausgesucht begeistert und geizte nicht mit Standing Ovations. Im Prinzip war es das aber in dieser Spielzeit für das Ballett der Semperoper. Der einzige weitere Premierenabend bringt keine Uraufführung. Und mit Ende der Spielzeit geht der Leiter des Ensembles Aaron Watkins nach London. Was danach kommt, ist bislang offen.

Rico Stehfest / Fotos: Semperoper Dresden/Jubal Battisti

nächste Vorstellungen: 8., 11., 12., 25., 26., 30. November 2022



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