Alles fließt: Zauberhafte Neuproduktion von Debussys »Pelléas et Mélisande« an der Semperoper
Schon jetzt lässt es sich sagen: Diese Produktion ist ohne Frage der Höhepunkt der laufenden Semperoper-Spielzeit! Und wer weiß, wie lange darüber hinaus. Wann hat man dort das letzte Mal eine Oper gehört, die mit so feinnerviger Musik, so sensibel wie konzentriert ohne Sentimentalitäten oder großem Tamtam einen psychologischen Konflikt einer verbotenen Ménage-à-trois auf die Bühne bringt! Debussy hat auf das lyrische, untergründige Libretto von Maurice Maeterlinck über die Unmöglichkeit einer Liebe eine Partitur geschrieben, die bei aller Farbigkeit der Klänge und bei aller harmonischen Novität schwerelos zu schweben scheint – anders als bei den bleischweren Tröten Wagner oder Strauss. Und tatsächlich sind es eher die Zwischenräume innerhalb des dramatischen Konfliktes, die musikalisch durchscheinen, so dass die Musik opernhafte Höhepunkte entweder auslässt oder geschickt umgeht. Eine wirklich frappierende Dramaturgie!
Die Inszenierung des katalanischen Regisseurs Àlex Ollé von der Theatergruppe La Fura dels Baus mit dem Bühnenbild von Alfons Flores setzt in mehrerer Hinsicht Maßstäbe! Das Bühnenbild ist absolut preiswürdig! Was für ein Einfall, den Bühnenboden in ein großes knöcheltiefes Wasserbassin zu versetzen, durch das die Figuren, zumeist mit Gummistiefeln, patschen. Aber dieser Ansatz ist in seinen vielfältigen optischen, akustischen und konzeptionellen Effekten so überzeugend, dass man es sich schon nach kürzester Zeit nicht mehr anders vorstellen kann. Haben Sänger jemals auf einem festen Boden gestanden und im Trockenen agiert?
Dezentriert auf der Drehbühne dann ein großer schwarzer Quader, der durch changierend transparente Stoffbespannung bei unterschiedlichem Licht verschiedene Wände, Innenräume, Tiefenschichten entstehen und verschwinden lässt: eine durchscheinende Blackbox. Fast den ganzen Rest erledigt dann die farbig fein differenzierte Beleuchtung. Dazu gehören auch die Lichtreflexe des Wassers, die den gesamten Bühnen- und Zuschauerraum bis zu den Decken optisch in ein buntes Flirren tauchen. Ollé gelingt es auf diese Weise, nicht nur eine stringente und minimalistische Bildästhetik von großem Format entstehen zu lassen, sondern zugleich auch ein konzentriertes Bühnengeschehen. Jede der sparsamen und deutlichen Gesten dient der Fokussierung auf das Geschehen und den dramatischen Konflikt.
Die Sänger sind ausnahmslos sehr gut gewählt. Wenngleich ganz große Entdeckungen nicht zu machen sind, so fügen sich doch die Stimmen alle überzeugend in ihre Rollen. Besonders Camilla Tilling als Mélisande gibt mit ihrer warmen und unaufdringlichen Tongebung dem Charakter ihrer Figur beredt, und schweigend zugleich, Ausdruck. Und der Bass Tilmann Rönnebeck vermag als König Arkel mit schönem Legato und ausgeglichenem samtigem Timbre, auch in höheren Lagen, einen nachdrücklichen Eindruck zu hinterlassen.
Mit dieser Produktion scheint ein neues ästhetisches Niveau am Haus erreicht worden zu sein, und angesichts der Tatsache, dass es sich dabei um die Morgengabe des im letzten Jahr leichthin vor die Tür gesetzten Intendanten Serge Dorny handelt, mag man vielleicht ermessen, was dem Haus und der Stadt verloren gegangen ist. Aron Koban

Nächste Aufführungen: 8., 11. Februar, jeweils 19 Uhr.



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