DRESDNER Interviews / O-ton!
»Wenn schon Symbolpolitik, dann zum richtigen Termin« – Der 13. Februar und der Bezug zur allgemeinen politischen Lage in Dresden – Im Gespräch mit Barbara Lubich
Der 13. Februar und der Bezug zur allgemeinen politischen Lage in Dresden – Im Gespräch mit Barbara Lubich
■ Im Februar jährt sich die Zerstörung Dresdens zum 70. Mal. In den vergangenen Jahren dominierten rechtsextreme Aufmärsche und Gegenaktionen großer Teile der Bevölkerung die Tage um den 13. Februar. Die Soziologin, promovierte Historikerin und Filmemacherin Barbara Lubich, geboren und aufgewachsen in Italien, hat die spezielle Dresdner Gedenkkultur um diesen Tag ausgiebig seziert, der dabei entstandene Dokumentarfilm »Come Together« erschien kürzlich auch auf DVD. Im Gespräch mit DRESDNER-Redakteur André Hennig ließen sich Exkurse zum gegenwärtigen allgemeinen Kundgebungsgeschehen nicht vermeiden.

Als Italienerin hast du vielleicht einen distanzierteren Blick auf die Situation. Wie erscheint dir der Umgang mit dem 13. Februar im Blick von außen?

Barbara Lubich: Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Blick von außen ist, denn ich bin ja schon recht lange in Dresden. Er ist vielleicht etwas distanzierter, weil es ein soziologischer Blick ist. Ich hab ja schon 2002 begonnen, mich damit zu beschäftigen. Da gab es ein Projekt von einem italienischen Regisseur, eine Art Spielfilmessay. Er versuchte, eine fiktive Versöhnungsgeschichte zu erzählen, von einem jüdischen Professor, der in Dresden geboren wurde und dann zurück kommt im Alter, um die Orte seiner Kindheit zu sehen und die findet er nicht mehr. Der Regisseur ist mit dem Thema hier erst mal auf Unverständnis gestoßen und es wurde klar, dass der Umgang Dresdens mit der eigenen Vergangenheit ein sehr schwieriger ist. Wir haben bis 2005 an dem Projekt gearbeitet, zu der Zeit herrschte im kritischen Teil der Öffentlichkeit hier in der Stadt der Tenor, dass so ein Film problematisch ist, weil die Dresdner mit ihrer Schuldthematik nicht offen umgehen und weil es auch schon damals eine Instrumentalisierung seitens der Rechtsextremen gab.

Wie das? Es gab doch diesen ZDF-Spielfilm zum 13. Februar, das war ja anscheinend auch kein Problem?

Barbara Lubich: Ja, das war aber später. Da war es dann auch salonfähig, deutsche Opfer als Protagonisten zu zeigen. Dresden als Opferstadt, das war ein Dresden-Phänomen, so wurde es international und lokal, und zum Teil auch national gesehen. Ungefähr 2005 ist Dresden dann ein Symbol geworden für eine deutsche Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit. Gleichzeitig spitzte sich die Instrumentalisierung durch die extreme Rechte zu. So war die Lage in der Zeit, als wir das beobachtet haben, zwischen 2005 und 2012. 2005 war ich zum ersten Mal auf der Straße, um zu filmen. Ab 2009 ist das Problem auch im Bewusstsein der Stadtbevölkerung und der Verwaltung angekommen. Wir haben also genau die Zeit erwischt, wo es zu einer Zuspitzung kam. Die Interviews sind 2011/ 2012 entstanden.

Im Film wird an einer Stelle Hamburg als Bezugsgröße zu Dresden ins Verhältnis gesetzt. 1943 wurden im Rahmen von rund eine Woche anhaltenden Luftangriffen große Teile der Stadt zerstört, es starben deutlich mehr Menschen als in Dresden. Dennoch war der Wallfahrtsort der Neonazis nicht Hamburg, sondern eben Dresden. Wie lässt sich das erklären?

Barbara Lubich: Die Erinnerungskultur in Dresden wurde lange Jahre gepflegt, schon seit Kriegsende. Die DDR-Regierung hat das natürlich auch schon instrumentalisiert, aus antiimperialistischer Sicht. Ganz entscheidend sind aber auch die 1980er Jahre, als das Gedenken von der Friedensbewegung reaktiviert wurde, zu einer Zeit, als es ziemlich eingeschlafen war. In den 80ern war der Umgang mit dem Tag sehr vielschichtig, das Gedenken und ein allgemeiner Friedenswillen haben sich beispielsweise mit Forderungen nach Ausreise verschränkt. Die Ausreisewilligen haben sich damals auch an die Frauenkirche gestellt, weil sie wussten, dass die Medien das wahrnehmen. Und später hat Helmut Kohl ebenfalls diesen Platz vor der Kirche genutzt, um seine ersten Reden zu halten. Der Ort wurde symbolisch immer mehr aufgeladen.

Ort und Datum wurden also früher schon für alle möglichen Dinge instrumentalisiert?

Barbara Lubich: Richtig, man hat sich mit Dresden eine symbolisch aufgeladene Bühne gesucht und da drauf gesetzt, damit es mehr Leute sehen. 2009 bei der Demo der Rechtsextremen am Hauptbahnhof haben die gerufen: »Wir sind das Volk«. Da haben sich dann mehre Dinge verknüpft: Die Wende 1989 und das Jahr 2009, in beiden Fällen Hauptbahnhof. Solche Aspekte überlagerten also den eigentlichen Anlass, den 13. Februar. 2011 sagte dann ein Demonstrant des »Trauermarsches«: »Wir sind für die Wiederherstellung der Demokratie«. Es geht also nicht nur um den 13. Februar, sondern immer auch um ganz andere Themen. Alle haben das Datum immer auch für andere Themen genutzt, selbst die Gegendemonstranten, die gesagt haben, »wir wollen keine Nazis in unserer Stadt«. Das war natürlich eine Reaktion, aber auch ein prinzipielles Anliegen.

Du hast es schon angerissen: Ich habe mich schon in der ersten Minute des Films ziemlich erschreckt. Da sind zwei alte Männer, Mitläufer beim »Trauermarsch«, und die schwadronieren, es ginge ihnen um die Wiederherstellung der Demokratie. Gegen Ende des Films beschwört der NPD-Mann Jürgen Gansel vor dem sächsischen Landtag die Gefahr eines linkstotalitären Gesinnungsstaates. Das alles erinnert in erschreckender Weise an die derzeitige Meinungslage bei Pegida. Was stimmt nicht mit der politischen Wahrnehmung in Dresden?

Barbara Lubich: Das ist alles sehr merkwürdig. Die rufen zwar »Lügenpresse«, glauben aber offenbar dem Spiegel mit seinen sehr emotionalisierten Berichten zum Islamismus. Vielleicht glauben die ja zu sehr, was in den Medien so erscheint. Es ist schon ein ähnliches Volk, was da in beiden Fällen auf der Straße ist. Auch am 13. Februar sind bisher nicht nur »freie Kräfte« unterwegs gewesen, das Volk da ist viel heterogener als man glauben mag. Es geht um Identität und das tut es in anderer Form auch bei der Menschenkette oder bei der Mahnwache der muslimischen Gemeinschaft in Berlin. Mich würde interessieren, ob die Pegidaleute da auch hingehen würden.

Bei den Rechtsextremen am 13. Februar und auch bei Pegida sind die Leute offenbar der Meinung, dass die Politik und damit auch die Demokratie sehr weit weg, weil links von ihnen ist?

Barbara Lubich: Genau, und sie selbst haben die einzige Wahrheit in der Hand. Ihr sich ausgeschlossen Fühlen ist auch eine Selbststilisierung als Außenseiter, mit diesem »man muss das doch mal sagen können«. Das ist schon das Mittel der NPD im Landtag gewesen. Die Stilisierung zum Tabubrecher ist ein ganz wichtiger Kraftmoment, aus dem heraus eine Bewegung wie Pegida auch eine solche Anziehungskraft hat. Und man beruft sich auf isolierte Fakten wie die Opfer von Dresden oder den Islamismus, um daraus eine alleingültige Wahrheit zu postulieren. »Wir sind die Einzigen, die die Wahrheit sagen und sich nicht einlullen lassen von diesem ›Gesinnungsstaat‹ und der ›Gleichschaltung‹. Diese Sicht der Dinge betrifft den 13. Februar genauso wie die Demonstrationen von Pegida.

Ist es ein Zufall, dass sich das beides in Dresden entlädt?

Barbara Lubich: Na ja, es gibt hier einen Konservativismus, der sich gewaschen hat. Und der auf Nichtkennen beruht. Man will keine Durchmischung. Aber das ist an der Realität vorbei. Man kann nicht sagen, es darf keine Migration geben, die passiert einfach. Mit dieser idiosynkratischen Konzentration auf die eigenen Befindlichkeiten und die gepachtete Wahrheit vergisst man, dass Migration in krisenhaften Zeiten eine Dynamik ist. Aber es ist ganz schwierig, die derzeitige Gemengelage zu beurteilen. Man weiß ja gar nicht, wer diese Leute eigentlich sind. Sind es »einfache Leute« oder doch die obere Mittelschicht? Das ist ja im Endeffekt auch egal, man muss mit diesen Leuten irgendwie ins Gespräch kommen. Ich fand es auch in der Auseinandersetzung mit dem 13. Februar interessant, mit den rechten Funktionären ausführliche Gespräche zu führen. Die haben ja nicht generell was gegen Ausländer, sie treffen sich sogar mit denen, zum Beispiel mit Faschisten aus meiner Heimat. Aber aus deren Sicht hat jeder seinen Ort, an dem er bleiben sollte, sie wollen ein Europa der Nationalstaaten. Unter diesem Postulat kooperiert sie ja auch untereinander, mit dem Front National oder mit der Rechten in Italien.

Oberbürgermeisterin Orosz rief 2010 im Rahmen ihrer Menschenkette dazu auf, Dresden »zu einer weltoffenen Festung gegen Intoleranz und Dummheit« zu machen. Offenbar ist das katastrophal schief gegangen. Wie wird sich die momentane Stimmungslage in der Stadt auf den kommenden 13. Februar auswirken?

Barbara Lubich: Dieses Jahr ist es natürlich auch speziell, weil wir den 70. Jahrestag haben. Die Frage ist, wie sich die Pegida-Anhänger positionieren. Ich kann mir auch vorstellen, dass die sich in die Menschenkette einreihen. Schwer zu sagen, ich möchte mich da auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Im besten Fall kann es die Zivilgesellschaft bewegen, für mehr Weltoffenheit zu demonstrieren. Dass die Trauermarsch-Anhänger mehr sein werden, wage ich zu bezweifeln. Die haben ja zurzeit genug Auslauf ...

Das offizielle Dresden reagiert bestenfalls verspätet und vor allem mit Symbolpolitik auf rechtslastige Entwicklungen: mit der Menschenkette oder mit der Kundgebung vom 10. Januar. Wie sollte die politische Klasse im Hinblick auf latent oder offen antidemokratische Strömungen von rechtsaußen agieren?

Barbara Lubich: Diese Strömungen begreifen sich ja als Kraft von unten. Deswegen finde ich es im Falle von Pegida richtig, dass Leute wie Frank Richter von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung oder die Professoren Patzelt und Rehberg hingehen und versuchen mit den Leuten zu reden.

Aber das wollen die ja nicht so richtig, oder?

Barbara Lubich: Das ist das Problem. Die Kommunikationsblockade kommt ja von denen. Und die Politiker wissen derzeit auch nicht, wie diese Bewegung zusammengesetzt ist. Deshalb ist es so schwer, schnell zu reagieren. Auch die Reaktionszeiten auf den 13. Februar waren extrem lang. Das kann man nicht schönreden. Am 10. Januar waren 35.000 Leute »für Toleranz«, es wäre besser gewesen, wenn sich am Montag darauf diese Menschen auch gegen Fremdenfeindlichkeit positioniert hätten. Wenn schon Symbolpolitik, dann zum richtigen Termin. Es sieht halt blöd aus, wenn ausgerechnet in Dresden nur wenige Tausend Leute dagegen Stellung beziehen und 30.000 in Leipzig. Was für oder gegen die jeweilige Stadt spricht, sind einfach die Zahlen, leider. Die quantitative Dimension ist das, was den Dresdnern peinlich sein kann. Das Problem ist: Eine gewisse Zahl will im Prinzip keine Ausländer und die werden nicht ausgeglichen durch die, die es gut finden, dass Ausländer da sind.

Mit dem Gegeneinanderstellen von Zahlen kommt man ja auch nicht weiter. Es bleibt der Zwiespalt: Die eine Seite will nicht reden und die andere Seite hat erst mal – und zwar verständlicherweise – mit Abscheu und harschen Worten reagiert. Und jetzt überlegt man sich, dass es ja nicht so wenige sind, und dass man die nicht alle verprellen will. Vor allem in Dresden wird im politischen Establishment laviert, oder?

Barbara Lubich: Pegida hat so viele verschiedene Aspekte, da blickt man ja nur schwer durch. Wie will man eine eindeutige Reaktion auf ein uneindeutiges Gesamtpaket an Beschwerden liefern? Und es gibt ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken auf deren Seite. Aber Politik ist nicht Freund gegen Feind, sondern Dialog und das muss man ihnen auch zeigen, wenn sie das noch nicht verstanden haben. Emotionalisierung hilft da nur bedingt weiter. Jede Seite kann einerseits klare Worte finden, aber andererseits nicht so eine Abwehrfront vermitteln, das ist die hohe Kunst. In einer hoch emotionalisierten Situation fällt es schwer, das Ganze distanziert zu betrachten oder etwas pragmatischer. Natürlich gibt es Leute, die beispielsweise schlechte Erfahrungen mit Ausländern mitbringen, vielleicht auch nur eine schlechte Erfahrung und aus der entsteht ihre ganze Weltanschauung. Das muss man überwinden und das kann man, aber nicht mit einem Schwarzweiß-Denken. Das würde den Pegida-Anhängern vielleicht ganz gut tun: einfach mal entspannen.
Vielen Dank für das Gespräch!

»Come together. Dresden und der 13. Februar«, seit Dezember 2014 auf DVD, www.come-together-der-film.de/ Veranstaltungen zum 13. Februar unter www.forum13-februar.de Eine internationale (öffentliche) Konferenz »Gedenken in Dresden« findet im Rahmen des Projektes »Bridging Generations« am 14. Februar im Kulturrathaus statt: www.jkpev.de

« zurück