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Sympathisch exzentrisch – Thurston Moore im Interview (Foto: Vera Marmelo)
Thurston Moore im Interview (Foto: Vera Marmelo)
■ Im Gespräch mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl spricht Sänger und Gitarrist Thurston Moore über die Faszination Skateboarding, seine Herangehensweise ans Songwriting und die Zeit mit seiner früheren Band Sonic Youth.

Sonic Youth werden oft als Türöffner für Nirvana bezeichnet, nachdem die Band um Kurt Cobain 1991 mit ihnen auf Europatournee war. Bis heute wird der Begriff »Grunge« oft verwendet und reproduziert. Was bedeutet Ihnen dieser Terminus?

Thurston Moore: Das war einfach lustig. Ein Begriff, den das Plattenlabel »Sub Pop« als Scherz an die New York Times weitergab. Als Nirvana anfingen durchzustarten, hat sich die kommerzielle Presse nämlich erst mal gefragt, was das eigentlich ist. Eine Frau bei »Sub Pop« meinte auf Nachfrage dann: Oh, wir nennen es Grunge«. Ein Scherz, aber er hat sich durchgesetzt. Trotzdem kein Wort, mit dem man sich hätte identifizieren können, wie zum Beispiel Punk oder Hippie. Niemand hat es besonders ernst genommen und bis heute hat es etwas humorvolles, ja fast peinliches. Ich würde nie sagen, dass ich auf Grunge stehe. Wenn man in einem Plattenladen eine Grunge-Abteilung sieht, dann ist das in der Regel kein besonders gutes Zeichen.

Im Video zum Song »Cantaloupe« sieht man Poolskating. Gab es schon zur Zeit von Sonic Youth einen Zusammenhang zwischen Musik und Skateboarden, oder war es eher die Ästhetik der Zeit?

Thurston Moore: Nein, ich war schon immer ganz vernarrt in die Skatekultur. Da geht es um die Idee der freien Bewegung, losgelöster Energie und Resistenz gegen Autoritarismus. Skaten war immer schon laut und aktiv, in einer Umgebung, die versucht, es durch konservative Lebensstile zu kontrollieren. Eine Alternative zu Kriminalität oder Drogen. Skaten als kriminell zu betrachten, ist daher mehr als lächerlich. Ich fand es interessant, als sich die Skatekultur in den frühen 80ern mit dem Punkrock verband. Insbesondere für Hardcore-Bands habe ich mich damals interessiert. Eine kulturelle Identifikation, die sich gegen die rechte Politik von Ronald Reagan in Amerika richtete. Eine seltsame Szene, die eine bestimmte Altersgruppe junger Männer ansprach, die ihre eigene Reife noch nicht entdeckt hatten. Das Skaten war für mich mit dieser Kultur verbunden. Mit Sonic Youth haben wir zum Song »100 %« sogar ein Video mit Skatern wie Guy Mariano und Jason Lee gemacht. Wir sind uns immer verbunden geblieben. Ich selbst aber habe nie geskatet, da ich zu groß und unkoordiniert bin. Ein New Yorker Stadtkind, das mit Freaks von der Art School abhing. Bis heute aber sehe ich Skaten als eine Art Korrelat zu der Energie, die ich beim Musikmachen empfinde. Was das Video zu »Cantaloupe« angeht: Meine Frau Eva und ich lebten in einer Gegend in London, wo diese beiden Mädchen in einem Pool skateten. Wir sahen zu und sie machte dieses Video. Das ergibt total Sinn, besonders mit dieser Punkrock-Energie.

Die letzte Platte »By The Fire« erschien 2020. Nicht die beste Zeit, um Musik zu veröffentlichen?

Thurston Moore: Klar, auch wir mussten Termine absagen. Alle Türen waren geschlossen, die Fenster verriegelt. Wir haben das Album trotzdem herausgebracht. Sobald es wieder losging, holten wir ein paar Termine nach. Es macht mir wirklich Spaß, die Musik der Platte live zu spielen. Ich liebe es, mit den Songs raus auf die Bühne gehen und betrachte es auch immer noch als ein neues Album.

Auf der Platte gibt es die Songs »Siren« und »Locomotives«; Stücke von über 10 Minuten, mit langen Instrumentalteilen am Anfang, bevor der Gesang einsetzt. Ist hier das Ziel, es dem Publikum nicht leicht zu machen und trotzdem etwas Schönes zu schaffen?

Thurston Moore: Ich mag es, Songs zu schreiben, die herausfordernd sind, aber keinen akademischen Denkprozess erfordern. Sie sollen immer noch einigermaßen zugänglich sein. Sonic Youth haben immer auf diese Weise gearbeitet. Dabei ging es nicht so sehr um die Lautstärke, das Traktieren der Instrumente und die Radikalisierung der Gitarren. Das kann ja jeder. Wichtig ist die Struktur der Komposition, wo man einzelne Abschnitte platziert und ab wann der Gesang einsetzt.

Woher kommt hierfür die Inspiration?

Thurston Moore: Vieles basiert auf dem, was ich an anderen Künsten mag: der Bildenden Kunst, Malerei, Literatur, Romane und Poesie. Die Art und Weise, wie die Dinge in diesen Disziplinen ablaufen. Wenn man ein Buch liest, wird manchmal erst am Ende alles verraten. Ich denke, dass ein Song auch so existieren kann. Man hat eine sehr lange Einleitung, die ihre ganz eigene Energie erzeugt, dann blüht sie auf und mündet in einer Verwirklichung in Text und Gesang. Das ist meine Herangehensweise, wenn ich ein Stück schreibe. Ich bin mir bewusst, dass das im Hinblick auf traditionelles Songwriting in gewisser Weise exzentrisch ist.

Es heißt, dass es schon bald die nächste, neue Platte geben wird?

Thurston Moore: Ich habe ein neues Album aufgenommen, ein genauer Veröffentlichungstermin steht noch nicht fest. Ich bin aber schon dabei, Musik davon zu veröffentlichen.

Wie das Stück »Hypnogram«, im hiesigen Artwork »Schlafprofil« betitelt?

Thurston Moore: Viele der neuen Songs sind im letzten Sommer in der Schweiz entstanden. In einem Schriftsteller-Refugium, umgeben von den Alpen und dem Genfer See. Ich dachte über die Zeit nach der Pandemie nach, über eine Welt, die mit dem Autoritarismus zu kämpfen hat. Dieser Song ist gewissermaßen eine Antwort darauf. Ein Hypnogram als gemeinsame Traumbühne. Wir werden ihn in Deutschland das erste Mal live spielen, vor tollem Publikum, das erfahrungsgemäß gut zuhört.

Für jemanden, der noch nie bei einem Thurston-Moore-Konzert war: Was kann das Publikum erwarten?

Thurston Moore: Es wird anders sein als jedes andere Konzert vorher. Bewusstseinserweiternd ist hier wohl der richtige Begriff.
Vielen Dank für das Gespräch!

Am 18. März spielt The Thurston Moore Group im Beatpol; mehr zum Künstler unter www.thurstonmoore.com/

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