DRESDNER Interviews / O-ton!
Love has no gender – Drangsal im Interview (Foto Louisa Zimmer)
Drangsal im Interview (Foto Louisa Zimmer)
■ Vorgeprescht: Mit seinem Debüt sorgte Max Gruber alias Drangsal vor zwei Jahren für ordentlich Wirbel am Pop-Firmament. Mit der zweiten Platte »Zores« geht es dieser Tage wieder auf Tour. DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl traf den sympathischen Exzentriker in Kreuzberg, um mit ihm über Tätowierungen, Sex in der Provinz und die Hinwendung zur deutschen Sprache zu sprechen.

Der Titel deiner aktuellen Platte »Zores« bedeutet Ärger. Wem willst du Ärger machen?

Drangsal: Ich habe zwei Jahre lang Ärger gemacht. Zores war ein schöner Oberbegriff für all das, was die Leute von mir denken. Ein Störenfried. Zores heißt auch Wut, kann aber ebenso eine Gruppe Asozialer sein. Zusammen mit dem Cover und wo ich mich in puncto Herkunft sehe, hat das gut gepasst. John Lydon hat gesagt »Anger is an Energy«. It is.

Wie weit traust du dich, in dein eigenes Dunkel vorzustoßen ohne Angst zu haben, nicht mehr zurückzufinden?

Drangsal: Manchmal ist es ein bisschen creepy. Ich trage ja mein Herz auf der Zunge, habe aber das Gefühl, dass wenn keiner mehr eine Privatsphäre hat, dann hat auch jeder eine Privatsphäre.

Ist das so?

Drangsal: Wenn sich jeder bis zum tiefsten Geheimnis angreifbar macht, dann ist es so, als würde keiner etwas über keinen wissen. Mir geht es darum, sich als Selbsttherapie komplett nackt zu machen. Gegen das Verstecken – hier bin ich.

Wir müssen über einen Satz vom Album reden: Gegen die Decke meines Schädels … schlägt ein Spalier junger Mädels ... ?

Drangsal: »Und Du?« ist einer der wenigen Songs, die in einer Nacht fertig waren.

Sowas schreibt man doch nicht klar, oder?

Drangsal: Ich war überhaupt nicht klar. Eigentlich kann ich immer in mir selber suchen und nochmal die Grundidee finden. Angefangen habe ich mit der Zeile »Wo man mich vermutet, steh ich schon lange nicht mehr.« Ich weiß nicht mehr, aus welchem Gedanken heraus dies kam. Den Song habe ich mit Gitarre auf dem Schoß komplett durch geschrieben. Deswegen funktioniert er auch so gut. »Turmbau zu Babel» habe ich auch auf Akustikgitarre durchgeschrieben, dann die Gitarre eingespielt und schließlich alles drumherum gebaut.

»Und Du?« wird auch gerne zum Anlass genommen, um über deine Sexualität zu sprechen. ... ?

Drangsal: Was habe ich mir da bloß eingebrockt. Es gibt den schönen Satz: »Love has no gender.« Ich finde immer, es muss jeder für sich selbst entscheiden. Das heißt nicht, dass man Heterosexuelle, Homosexuelle oder was auch immer Sexuelle scheiße findet, oder das eine über das andere stellt. Es könnte mir nicht egaler sein, wer wen fickt.

In der Provinz zu merken, dass man auch Jungs toll findet, kann ich mir dennoch als schwierig vorstellen ...?

Drangsal: Da habe ich es nur meinen besten Freunden erzählt. So habe ich es immer gehandhabt. Ich verstehe, dass das Comingout für viele eine Art Selbstfindung ist, in dem man sagt, das bin ich und akzeptiert mich. Ich aber hatte nie das Gefühl, dass ich irgendjemandem etwas schuldig bin. Es kommen doch auch keine Leute zu mir. So nach dem Motto: »ich muss dir was sagen, ich bin heterosexuell«. Oh Gott, wirklich.

Welcher Song war letztlich für den kompletten Wechsel in die Muttersprache verantwortlich?

Drangsal: Die Initialzündung mehr auf Deutsch zu machen war »Will ich nur dich« auf der ersten Platte. Zwischendrin kamen viele deutsche Songs mit »Casper«, »Die Selektion«, »Gewalt« und einen habe ich auf einer Staatsakt-Compilation rausgebracht. Auf Deutsch ist ein neues Terrain, eine neue Sprachwelt für mich. Englisch hatte sich gefühlt etwas auserzählt.

Wie dankbar bist du diesbezüglich Produzent Markus Ganter?

Drangsal: Voll, aber ich würde nicht mal sagen, dass es nur an Markus liegt. Der hat natürlich mit »Will ich nur dich« den Weg bereitet.

Vielleicht ist »dankbar« auch der falsche Begriff?

Drangsal: Nein, ich bin Markus für weitaus mehr als nur das dankbar. Prinzipiell habe ich Markus meine komplette Karriere zu verdanken. Hätte er sich nicht meiner angenommen, dann wäre es vielleicht nur so ein Geheimtipp geworden.

Du trägst die Tätowierung einer Frau, die in einen umgedrehten Totenschädel uriniert?

Drangsal: Im Internet habe ich ein Bild von einem Holzstich gesehen, auf dem eine Frau ein Rokoko-Kleid trägt, sich dieses hochreißt, sich halb bückt und von hinten mit der anderen Hand den Schädel zwischen ihr Beine hält und reinpisst. Ich habe den Fehler gemacht, es mir nicht abzuspeichern und habe dieses Bild gefühlt Jahre gesucht, weil ich es mir unbedingt tätowieren lassen wollte. Nicht gefunden, hat die Tätowiererin einfach etwas Neues gezeichnet. Keine Ahnung, ich habe so viele Tattoos. Es gibt diesen Song von Turbonegro: Just flesh.

Als Zugabe hört man bei Drangsal Konzerten Klaus Lages Stück »1000 und 1 Nacht (Zoom!)«. Wie kam es dazu?

Drangsal: Klaus Lage ist völlig zu Unrecht als uncool verschrien. Er kommt aus Soltau, ist also auch in einem kleinen Ort aufgewachsen. Ich verspüre da eine Art Verbundenheit. Textlich ist es natürlich kein Dirk von Lowtzow und nicht so verschwurbelt, aber gerade deswegen finde ich es so geil, weil es nah am Leben ist.

Kleiner Ort ist ein gutes Stichwort: »Harieschaim« und »Zores« – die Titel deiner Alben als Verbindung zum Heimatort Herxheim?

Drangsal: You can take the boy out of the village, but you can’t take the village out of the boy.

Zum Schluss noch die Frage nach deinem Engagement in Richtung Eurovision Song Contest?

Drangsal: Es war ab einem bestimmten Punkt klar, dass ich nicht in der engeren Auswahl bin. Beworben habe ich mich. Am Ende hatten die Angst vor einer Verhohnepipelung meinerseits. Eigentlich finde ich das mit dem besten Song aus jedem Land ja eine feine Sache. Das Schlimmste am Eurovision aber ist die Fangemeinde. Fans allgemein sind schlimm, das weiß ich selber. Man hat das Gefühl, man muss Dinge in Schutz nehmen. Ich finde es schade, dass es nicht geklappt hat. Je mehr ich aber darüber rede, desto mehr regt sich die Gemeinde wieder auf.
Besten Dank für das Gespräch!

Drangsal spielt am 8. März im Beatpol; mehr zum Künstler: www.drangs.al

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