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»Gute Stücke haben immer Vertiefungspotential« – »Die verkaufte Braut« in der Inszenierung von Mariame Clément (Foto: Elisa Haberer) an der Semperoper
»Die verkaufte Braut« in der Inszenierung von Mariame Clément (Foto: Elisa Haberer) an der Semperoper
■ Ach, es ließe sich so schön in den längst vergangenen Tagen schwelgen: fidele Mädchen und Jungen im Trachtengewand, die sich auf dem Dorfplatz vor windschiefen Häuschen einer böhmischen Bauernidylle zu lustigen Melodien im Kreise drehen. Aber auch wenn »Die verkaufte Braut« von Bedrich Smetana im leichten Konversationston daherkommt, handelt es sich dennoch »um die bewusste Konstruktion eines Nationalepos«, so die französische Regisseurin Mariame Clément, die mit dieser Inszenierung ihr Debüt an der Semperoper gibt. Mit den Erfahrungen ihrer internationalen Erfolge begibt sie sich in die tieferen Schichten des menschliches Handelns in diesem nur vordergründig leichten Volksstück, wie sie im Gespräch mit DRESDNER-Autorin Annett Groh erläutert.

»Die verkaufte Braut« ist vom Sujet her ein ziemlich angestaubtes Stück, oder?

Mariame Clément: Das fürchtet man, ja – bevor man das Stück gut kennt. In meinem Heimatland Frankreich ist es nicht so bekannt wie hier in Deutschland, und auch ich hatte zuerst ein eher operettenhaftes Bild davon. Aber wenn man dann die Musik hört: Allein schon bei der Ouvertüre fallen alle Vorurteile in sich zusammen. Ich mache Oper, weil ich solche Musik liebe, sie ist sehr subtil und fein. Und: Es sind tolle Figuren. Keine einzige ist nur eindimensional, auch nicht die Nebenfiguren.
Das Stück hat extrem witzige Momente, aber auch tragische Aspekte. Es ist für mich die perfekte Komödie, nicht nur lustig und niedlich, sondern mit einer große Fallhöhe. Das zeigt sich allein schon im Titel. Wenn man das Stück nicht kennt, dann klingt es im ersten Moment nicht sehr komisch, wenn Bräute verkauft werden sollen.

Dennoch ist diese Oper eine folkloristische Angelegenheit?

Mariame Clément: Das Folkloristische gehört zu dem Stück, und man kann es nicht einfach wegdenken. Es ist auch in der Musik selbst zum Teil präsent und spielt in der kollektiven Wahrnehmung des Stückes eine große Rolle. Allerdings finde ich, dass es den Figuren ein wenig im Weg steht. Diese Dorfsituation und alles, was man traditionell erwartet: Bilder, Kostüme, Trachten – das ist eine Verniedlichung. Da besteht das Risiko, dass man aus den Figuren Puppen oder Schablonen macht: das süße Dorfmädchen, der nette Bursche, der Bierchor und so weiter. Der Reiz für mich besteht darin, mich damit auseinanderzusetzen, was Folklore bedeutet und wie man sie erzählt. Und auch aufzupassen, dass trotzdem Tiefe möglich ist. Ich glaube, das Folkloristische hat viel mit Nostalgie zu tun – also die Erinnerung an etwas, das es so vielleicht nie gegeben hat: wie diese hübschen Mädchen, die irgendwo in Böhmen am Brunnen sitzen und einfach nur warten.

Nostalgie birgt ja auch immer den Aspekt der Idealisierung von Heimat. Kommen Sie mit ihrer Inszenierung diesem Bedürfnis entgegen oder verzichten sie bewusst auf all das romantische Gesäusel?

Mariame Clément: Weder noch, glaube ich. Wenn wir die Folklore in dem Stück betrachten, dann hat dies etwas Künstliches, Konstruiertes. Es ist eher wie eine Show oder wie eine Dekoration. Aber natürlich sind wir in unserer Wahrnehmung auch immer geprägt von der Folklore, auch wenn wir modern sind – denken Sie zum Beispiel an den Einfluss von Märchen auf uns. Oder die romantischen Klischees, mit denen wir und auch als moderne Frauen auseinandersetzen müssen.

Wie gehen Sie die Charaktere der Figuren an?

Mariame Clément: Nehmen wir als Beispiel Hans. In meiner Wahrnehmung hat er als Figur die größte Verwandlung durchgemacht. Am Anfang hielt ich ihn für relativ uninteressant und sogar unsympathisch. Inzwischen habe ich ihn besser kennengelernt, er ist extrem komplex. Er ist der Sohn, der von der Stiefmutter weggetrieben wird, der in die weite Welt hinaus muss und unerkannt zurückkommt – wenn man das nicht als Märchentopos nimmt, sondern als echte Situation, dann wird fast eine Tragödie daraus. Jemand, der ganz jung, vielleicht als Teenager seine Heimat aufgab, weil sein Vater mit einer neuen Frau einen weiteren Sohn bekommen hat, der kehrt, ohne vorher jemals eine Nachricht gegeben zu haben, plötzlich nach Hause zurück und verliebt sich. Und gerade die Frau, in die er sich verliebt hat, wird durch einen grausamen Zufall ausgesucht als Braut für seinen Halbbruder, dessentwegen er schon einmal alles verloren hat. Er ist viel zerbrechlicher, als ich dachte. Es gibt viele Momente in dem Stück, in denen das deutlich wird.
Der zweite Sohn Wenzel wiederum, auf den sich alle Hoffnungen konzentrieren, und der – im Unterbewusstsein vielleicht – der Grund für den Verlust seines älteren Bruders ist. Diese Last muss man erstmal tragen. Da ist es kein Wunder, dass er stottert. Selbst die Stiefmutter hat eine Geschichte, denn sie ist ja nicht nur die Stiefmutter.

Wollen Sie mit den Klischees, die sich mit dieser Oper verbinden, brechen?

Mariame Clément: Ja, aber nicht aus Prinzip. Es geht mir nicht darum, das Stück anders zu machen oder mich davon zu distanzieren. Wenn ich nur beweisen will, wie dumm ich das Stück finde, dann mache ich es nicht. Gute Stücke haben immer Vertiefungspotential.
Die Figur der Marie interessiert mich auch, denn für ein Stück aus dem 19. Jahrhundert ist es eine bemerkenswert starke Frauenfigur. Sie wird weder geopfert noch getötet, sie wird nicht wahnsinnig und bringt sich nicht um. Durch das ganze Stück hindurch kämpft sie dafür, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, selbst zu entscheiden.

In welcher Zeit haben Sie die Inszenierung angesiedelt?

Mariame Clément: Es handelt sich um eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, in der sich Dinge verschieben, mit Transformationsprozessen, wo sich Kräfte neu ordnen, Verhältnisse und Einstellungen ändern. Eine Zeit, in der auch Geld plötzlich eine andere Rolle spielt, einen neuen Sinn hat: Kann man alles kaufen? Kann man sogar eine Braut kaufen?
Vielen Dank für das Gespräch!

»Die verkaufte Braut«, Inszenierung: Mariame Clément. Premiere am 8. März in der Semperoper; weitere Vorstellungen: 13., 16., 22., 25. März. Mehr zur Inszenierung: www.semperoper.de/spielplan/stuecke/stid/braut/61276.html#a_26892

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