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»Es war immer schon meine Antriebskraft, Gräben zu überwinden« – Im Gespräch mit Kilian Forster (Foto: Andreas Weihs) zur diesjährigen Ausgabe der Jazztage Dresden
Im Gespräch mit Kilian Forster (Foto: Andreas Weihs) zur diesjährigen Ausgabe der Jazztage Dresden
■ Gefühlt erstrecken sich Festivals, so auch die Jazztage Dresden, mittlerweile übers ganze Jahr. Zumindest suggerieren dies diverse Sonderkonzerte und die Open-Air-Reihe »Summertime«, zu der unter anderem Estas Tonne, Al Di Meola oder Dominic Miller im Sommer aufspielten. Doch ist dies der Tatsache geschuldet, dass es unter wechselnden Rahmenbedingungen schwierig ist, ein Festival am Stück zu planen. Gerade ein Festival, das zehntausende Gäste in die Stadt bringt, lebt ja auch erst durch Austausch, Anregung und Inspiration. Unter den derzeit geltenden Regelungen scheint es unmöglich vorherzusagen, was in ein paar Wochen der Standard ist. Gilt die 3G-Regel dann noch oder kommt 2G? Ist dann eine volle Auslastung möglich oder vielleicht doch nur 50 Prozent oder weniger? Anlässlich der diesjährigen Ausgabe – die mit der hierzulande noch wenig bekannten, aber in den USA als Jungstar der Jazz-Szene gefeierten Jazzmeia Horn als Titelgesicht aufmacht – hat sich DRESDNER-Chefredakteur Heinz K. mit Kilian Forster, dem Gründer und Leiter der Jazztage Dresden, unterhalten.

Euer diesjähriges Motto »Jazzt erst recht« klingt kämpferisch und auch ein wenig trotzig. Wie lässt sich das Festival unter derzeit unklaren Rahmenbedingungen eigentlich planen?

Kilian Forster: »Jazzt erst recht« heißt auch, dass wir unabhängig von den Inzidenz-Zahlen definitiv etwas veranstalten werden, und sei es zum Gottesdienst in einer Kirche oder Open Air mit 50 Heizpilzen. Wenn aber 2G zur Pflicht wird, werden wir die Jazztage komplett absagen. Denn wir möchten niemanden diskriminieren oder ausschießen. Das ist ja auch eine ethische Frage.
Wenn 3G Pflicht wird, werden wir vor Ort testen. Wir lassen uns auch selber zum Tester ausbilden. Wenn es so gefordert wird, machen wir das. Wir haben uns, das sei hier gesagt, übrigens auch im letzten Jahr an die Regeln gehalten. Auch wenn das manche anders sehen, weil es da Falschmeldungen gab …

Ich nehme an, damit ist die vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach in der Bild-Zeitung geäußerte Kritik an den »freiwilligen Infektionsgruppen« gemeint?

Kilian Forster: Richtig ist, die freiwilligen Infektionsgruppen standen sechsmal im Gesundheitskonzept, was so genehmigt worden war. Zehnergruppen waren zum damaligen Zeitpunkt status quo in Sachsen. Ohne diese Zehnergruppen, die Ende August bei niedrigsten Inzidenzen in Sachsen beschlossen wurden, hätten wir die Jazztage auch überhaupt nicht durchführen können. Als es dann neue Verfügungen gab, etwa was die Abstände der Sitzreihen betraf, haben wir auch entsprechend reagiert.

Können nicht auch Bad News Good News sein?

Kilian Forster: Bad News are Good News, sind es definitiv, wenn Freunde sagen, jetzt sind die Jazztage da angekommen, wo sie hingehören, nämlich deutschlandweit in der Bild-Zeitung (lacht). Aber mal im Ernst: Die Jazztage wurden dadurch leider in Mitleidenschaft gezogen. Wir haben einerseits viele neue Freunde gewonnen, aber auch etliche verloren, und das ist nicht schön und war auch nicht unsere Absicht.

Für Irritationen sorgte bei den Jazztagen 2020 auch die Einladung des »Friedensforschers« Daniele Ganser …?

Kilian Forster: Er wurde von uns zum zweiten Mal eingeladen, weil sich herausgestellt hat, dass die Thesen und Ansichten, die er vertritt, durchaus berechtigt sein können, vor allem dann, wenn man miterlebt hat, wie der Einstieg in den Irak-Krieg durch Lügen erfolgte. Die Ereignisse in Afghanistan haben etliche Thesen wieder untermauert. Es ist mir ein Anliegen, nach den Ursachen und Manipulationen für Kriege zu forschen und den Menschen die Möglichkeit zu geben, das zusätzliche Angebot der Jazztage anzunehmen. Es waren mehrere Vorträge geplant, wegen des Lockdowns vom 2. November ist nur noch Ganser übrig geblieben. Der Vortrag hat im Übrigen zum damaligen Zeitpunkt den Jazztagen das dreifache dessen gebracht, was die Kulturstiftung Sachsen an Förderung gegeben hat, weswegen wir dann auch Konzerte mit Nachwuchskünstlern veranstalten konnten.

Was kann man programmatisch erwarten und wie läuft der Vorverkauf?

Kilian Forster: Weil es allen klar ist, dass es noch unklar ist, unter welchen Rahmenbedingungen das Konzert stattfinden wird, läuft der Vorverkauf verhalten. Wir haben derzeit vielleicht zehn Prozent der in einem normalen Jahr sonst üblichen Tickets im Vorverkauf abgesetzt.
Programmatisch wird es noch Änderungen geben. Aufgrund der Förderung, wo es ja eine Ausfallentschädigung gibt, werden sehr viele Tourneen und Konzerte ausfallen, und dem wollen wir so gut wie möglich vorbeugen. Wir möchten möglichst frühzeitig die Notbremse ziehen und uns nur auf die Konzerte konzentrieren, wo es auch wirklich Nachfrage gibt. Es ist immer wichtig, tagesaktuell auf das Programm und die aktuellen Hygiene-Auflagen zu schauen.

Neue Homebase der Jazztage ist mittlerweile der Ostra-Dome am Messering. Welche Gründe sprechen dafür?

Kilian Forster: Wir hatten ja 14 Jahre keine eigene Homebase und bis zu 35 Spielstätten querbeet, weswegen wir gerne das Angebot von Mirko Meinel angenommen haben. Zuerst für das Erlwein Capitol und vor zwei Jahren den Ostra-Dome und die Studios. Zum ersten Konzert mit Nina Hagen war die Garderobe noch gar nicht fertig, aber es hat sich inzwischen in allen Bereichen wunderbar eingegroovt.

Werden die letztjährig gestarteten Festival-Reihen fortgesetzt?

Kilian Forster: Wir hatten mit »Summertime« und der Nachwuchsreihe »Jazz‘n‘Future« coronabedingt und mit Hilfe von Neustart Kultur viele Konzerte im Sommer. Neu ist, soweit es organisatorisch bei den ganzen Umverlegungen die Zeit erlaubt, die Jazz-Akademie mit Workshops und der Ausbau von »Concertare«, was Vortrag, Konzert und Session in einem meint. Falls wir Ganser wieder einladen sollten, dann nur im Reigen von verschiedenen anderen Vorträgen. Aufgrund der massiven Kritik haben wir eine an den Vortrag anschließende Diskussion gemacht. Leider wurde dieses Angebot von den Kritikern gar nicht angenommen. Ich hätte mir gewünscht, dass dies auch ausdiskutiert worden wäre. In meiner eigenen Biografie spiegelt sich dieses Anliegen bei den Klazz Brothers und Cuba Percussion mit dem Brückenschlag zwischen den Stilen und Kulturen wieder. Das ist immer schon mein Ding gewesen, nicht in Schubladen zu denken und stilistisch frei zu sein. So wie viele es für unmöglich hielten, dass man Klassik von Beethoven oder Mozart mit Salsa zusammenbringen kann. Das war immer schon meine Antriebskraft, Gräben zu überwinden.
Mir ist auch wichtig, den Fokus auf Minderheiten zu richten. Denn es ist doch wohl selbstverständlich, dass man sich auch darüber unterhalten kann und muss, ob das nun diskriminierend ist oder nicht, wenn sich ein engagierter Musiker wie Markus Reinhardt, der sich selbst als »stolzer Zigeuner« bezeichnet und bewusst ein Festival unter dem Label »Zigeunermusik« in Köln veranstaltet. Ihn würde ich gern zur Diskussion einladen.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

Die Jazztage Dresden finden vom 20. Oktober bis 21. November im Ostra-Dome, den Ostra-Studios, sowie in weiteren Locations statt; Programm fortlaufend aktualisiert unter www.jazztage-dresden.de

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