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»Eine Wahnsinnszeit, in der die Hormone rasen« – Christina Rast über ihre Inszenierung von Peter Richters »89/90« (Foto: Daniel Koch)
Christina Rast über ihre Inszenierung von Peter Richters »89/90« (Foto: Daniel Koch)
■ Der anektdotenhafte Roman »89/90« des Journalisten Peter Richter erregte vor zwei Jahren großes Aufsehen. Dies lag vor allem daran, dass es sich nicht um einen der üblichen Wenderomane handelte, in dem ein verkitschtes oder absurdes Bild gezeichnet wurde. Peter Richter gelang es im dokumentarischen Stil, punktgenau und lakonisch die Gefühlswelten von Jugendlichen im Dresden der Wendezeit einzufangen. Nun gibt es »89/90« auch in einer theatralischen Fassung, für deren Umsetzung die Schweizer Regisseurin Christina Rast verantwortlich zeichnet. DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher stellte der Regisseurin anlässlich der Uraufführung die Fragen.

Sehen Sie in »89/90« vorrangig ein zeitgeschichtliches Dokument oder trägt es eher den Charakter eines Entwicklungsromanes, der in einer aufregenden Zeit stattfindet?

Christina Rast: Ich sehe den Roman klar als ein zeitgeschichtliches Dokument, erzählt aus der Perspektive von Peter Richter, also seiner Generation und einer bestimmten Gesellschaftsschicht. Das wird auch nochmal deutlich, wenn man sich mit verschiedenen Menschen unterhält: jeder und jede hat diese Zeit sehr verschieden wahrgenommen. Im Grunde ist »89/90« eine sehr präzise beobachtete Anekdotensammlung. Und da ist Peter Richter ein genauer Chronist. Für einen Enwicklungsroman konzentriert er sich aber zuwenig auf das Innenleben des Erzählers und die persönlichen Abgründe und Konflikte, sondern er hat eher die Form einer Berichterstattung, eines Kaleidoskops einer Gesellschaft in Auflösung gewählt. In Form einer Rückblende. Das schafft automatisch auch Distanz. Und lässt wenig Raum, in einzelne Figurenschicksale einzutauchen. Das alles ist für eine Dramatisierung und Bühnenübersetzung eine Herausforderung, weil die Zeit zwar hochdramatisch, die Erzählform aber erstmal undramatisch ist.

Ein Teil des Publikums hat die Wende nicht persönlich erlebt. Ergibt sich daraus für Sie die Notwendigkeit, Bezüge zur Jetztzeit zu schaffen? Und wenn ja, wie setzen Sie diese Bezüge?

Christina Rast: Die Bezüge ergeben sich ganz von alleine durch die Erzählerperspektive. Wie wir blickt der Autor aus der Gegenwart zurück.
Wir befinden uns heute ja auch in einer Zeit gesellschaftlichen Umbruchs. Und da ist es schon verblüffend und ernüchternd zu sehen, wohin sich Sehnsüchte und Hoffnungen entwickelt haben. Viele Begriffe, die damals geprägt wurden, spielen wieder eine wichtige Rolle in einem völlig anderen Kontext, etwa der Klassiker »Wir sind das Volk«, den man heute gar nicht mehr von Pegida trennen kann. Oder Helmut Kohl erzählt uns im Dezember 1989 von der Utopie des »gemeinsamen Hauses Europa«. Was ist denn heute mit Europa? Was bedeutet nationale Identität, Heimat? Wo kommen wir her? Insofern hatten wir gar nicht das Bedürfnis, jetzt da noch drauf zu drücken, weil ich glaube, dass das Publikum diese Verbindungen alleine herstellt. Ich finde es gerade in unserer Zeit wichtig, sich zu erinnern.

In Ihrer Inszenierung agieren ausschließlich Männer auf der Bühne. Welche Absicht steckt dahinter?

Christina Rast: Da der Roman klar aus einer subjektiven und einer männlichen Perspektive geschrieben ist und nicht wirklich weibliche Sichtweisen oder Figuren auftauchen, war das für mich naheliegend. Und so haben wir sechs Männer unterschiedlichen Alters, die von einer Wahnsinnszeit erzählen, in der die Hormone rasen und die bekannte Welt zusammenbricht.

Wer zeichnet für die dramatische Fassung des Romans verantwortlich? Sie arbeiten häufig mit Ihrer Schwester als Bühnenbildnerin zusammen. Können Sie kurz schildern, welche Arbeitsweise sich aus dieser Konstellation ergibt?

Christina Rast: Die Dramaturgin Anne Rietschel und ich haben zusammen eine Arbeitsfassung gemacht, die wir dann mit den Spielern im Arbeitsprozess weiter entwickelt haben.
Mit meiner Schwester Franziska verbindet mich eine sehr enge und gleichberechtigte Arbeitsbeziehung. Sie kommt von der bildenden Kunst und hat eine visuelle und assoziative Herangehensweise an Stoffe und Themen. Und ich nähere mich einem Stoff erstmal über Text und Sprache an. Das ergibt im besten Fall eine produktive Reibungsfläche, über die dann die Ideen einer szenischen Umsetzung entstehen können. Dabei haben wir eine Vorliebe für klassische Theatermittel, das Analoge und Anachronistische – Prospekte, Theatermalerei, schwitzende Schauspieler ...

Für die Inszenierung wurde die Band Dÿse verpflichtet. Welchen Stellenwert ordnen Sie der Musik in Ihrer Inszenierung zu?

Christina Rast: Dÿse ist für mich ein absoluter Glücksfall. Im Leben eines 16-Jährigen spielt die Musik meistens eine zentrale Rolle, bei »89/90« genauso. Wie so viele wollte der junge Peter mit seinem besten Freund S. eine Band gründen, gleichzeitig spiegelt der Roman anhand der Musikrichtungen auch die gesellschaftspolitische Entwicklung. Zu der Zeit war der Punkrock in der DDR eine richtige Untergrundbewegung, diente als Ventil, Protest und Befreiungsschlag zur Individualisierung. Mir war von Anfang an klar, dass ich gerne eine Live-Band mit auf der Bühne haben möchte, am liebsten aus Dresden, am liebsten Punkrock, am liebsten Leute, die diese Zeit als Jugendliche selbst miterlebt haben. Und da kamen die beiden Jungs von Dÿse goldrichtig.
Vielen Dank!

Uraufführung: 27. August im Kleinen Haus, weitere Aufführungen: 27. August, 1./ 10./16./ 24. September; mehr zum Stück unter: www.staatsschauspiel-dresden.de/home/89_90/

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