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»Das Chaos ist mein Freund« – Judith Holofernes im Interview (Foto: Marco Sensche)
Judith Holofernes im Interview (Foto: Marco Sensche)
■ Judith Holofernes ist bekannt für gesellschaftskritische Texte und berauschende Melodien. An ihrem zweiten Soloalbum »Ich bin das Chaos« hat nicht nur der färöische Popstar Teitur mitgewirkt, sondern auch Musiker von ihrer ehemaligen Band Wir sind Helden. Spricht man die vor 40 Jahren als Judith Holfelder-Roy geborene Sängerin und Songschreiberin auf den grassierenden Rechtspopulismus an, rauft sie sich die Haare. Sie sagt, dass ihre Songs sich nützlich machen sollen in der Welt. Olaf Neumann traf für DRESDNER Kulturmagazin Holofernes an jenem Ort in Berlin, wo viele ihrer Songs entstehen und das Chaos regiert.

Das Album »Ich bin das Chaos« schrieben Sie unter anderem hier in diesem Zimmer gemeinsam dem Sänger und Songschreiber Teitur Lassen von den Färöer Inseln. Wie kamen Sie mit ihm zusammen?

Judith Holofernes: Ich habe seinen Song »Catherine The Waitress« live gecovert. Bei mir hieß er »Jonathan der Kellner«. Ich war schon ein Fan von Teitur, bevor wir uns kennenlernten. Mein Manager hat uns verkuppelt und daraus ist eine Schreibfreundschaft entstanden. Es passiert selten, dass man jemand findet, der ähnlich tickt. Gemeinsam schreiben kann auch total schiefgehen, da müssen ganz feine Sachen zusammenpassen. Aber wir haben uns blind verstanden.

Sind Sie wirklich chaotisch?

Judith Holofernes: Ich bin in bestimmten Reservaten sehr chaotisch und in anderen sehr aufgeräumt. Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit. Das Chaos ist mein Freund und ich kann teilweise nur so arbeiten. Ich wünschte, ich wäre in meinem Alltag weniger chaotisch. Aber als jemand, der Neues erschaffen will, weiß ich, man muss furchtlos sein und mit dem Chaos Stehblues tanzen.

Geht es beim Musikmachen immer um Ordnung aus dem Chaos?

Judith Holofernes: Der Segen beim Texten ist, dass man dabei die Chance hat, Sachen einzufangen und sichtbar zu machen, ohne sie zu ordnen und unbeweglich zu machen. Man kann dabei Dinge fühlbar und erfahrbar machen, ohne sie wie in einem Prosatext zu sehr ordnen und erklären zu müssen. Und die Musik kann dann noch einmal etwas ausdrücken, was man im Text gar nicht gesagt hat. Ich finde, beim Schreiben von Songs kommt man der Wirklichkeit näher als beim Schreiben von Prosa.

Wie haben Sie einen Weg gefunden, zu zweit zu schreiben?

Judith Holofernes: Teitur und ich sind beide sprunghaft und schnell im Denken. Wir vertrauen uns. In einem kreativen Prozess muss man sich auch mal die Blöße geben können und ab und zu mal etwas Doofes raushauen. Es braucht eine ähnliche Sensibilität. Am Anfang versprachen wir uns gegenseitig, dass derjenige, dem die Ursprungsidee gehört, am Ende entscheiden darf, was zu dem Song passt und was nicht.

Wo haben Sie die Platte aufgenommen?

Judith Holofernes: Hier in Berlin und in Teiturs Holzhäuschen auf den Färöer Inseln mit Blick über die Klippen. Es ist völlig einsam gelegen, das geht dort gar nicht anders. Die Hauptstadt der Färöer Inseln hat weniger Einwohner als Kreuzberg. Wenn man vom Flughafen zur Hauptstadt fährt, sieht man Schafe, Schafe, Schafe und ab und zu ein Häuschen. Man fragt sich die ganze Zeit: Wo sind denn alle? Und dann sagt Teitur: »Das sind alle!«

Das Album wurde produziert von Pola Roy, Ihrem Ehemann. Bedarf solch eine familiäre Zusammenarbeit einer robusten Streitkultur?

Judith Holofernes: Auf jeden Fall. Wir sind aber gut im Training, weil wir immer schon zusammengearbeitet haben. Schon bei Wir sind Helden mussten wir Techniken finden, wie man sich abends vergewissert, dass einen der andere noch mag, auch wenn man sich gerade bitter über die Basslautstärke bei Minute 2:30 auseinandergesetzt hatte. Mit meinem Mann rede ich abends nicht mehr über die Arbeit, wir haben eine ausgeprägte Leidenschaft für TV-Serien. Das ist unser Paralleluniversum.

Den Titelsong schrieben Sie gemeinsam mit Pola Roy und Jean-Michel Tourette. Ist das etwa der Vorbote einer Reunion von Wir sind Helden?

Judith Holofernes: Ich möchte in Zukunft wieder mehr mit Jean-Michel schreiben. Es wäre bescheuert, solch eine fruchtbare Songwriter-Beziehung aufzugeben, nur weil man nicht mehr in derselben Band spielt. Ich möchte aber bis auf weiteres Solokünstlerin bleiben. Und mein Mann ist als Produzent wahnsinnig glücklich und möchte nicht wieder in einer Band spielen. Wir vier in einem Raum werden aber immer Wir sind Helden sein. Wir haben diese Band nicht aufgelöst.

Ihr Album beginnt mit dem Song »Der letzte Optimist«. Ist Zuversicht in Ihren Augen derzeit angebracht?

Judith Holofernes: Eigentlich bin ich eine unerschütterliche Optimistin. Dieses Album hat diese teilweise sehr dunklen und teilweise sehr hellen Farben. Ich wollte gleich mit dem ersten Song ans Eingemachte gehen. Er packt einen beim Kragen. Es ist leicht sadistisch, aber ich fand es lustig, danach in »Ode an die Freude« überzugehen.

Was macht es mit einem, wenn man morgens die Zeitung aufschlägt und als erstes die rechtspopulistischen Anheizer Donald Trump und Björn Höcke sieht? Kommen Sie da überhaupt in Schreiblaune?

Judith Holofernes: Ich versuche, eine gewisse Art von Mediendiät einzuhalten, weil ich es auf verschiedenen Ebenen nicht für fruchtbar halte, sich Nachrichten andauernd und ungefiltert reinzuziehen. Ich bin sehr empfindsam, das ist kein Eskapismus. Ich habe beschlossen, erst dann Nachrichten zu lesen, wenn ich mich dem als vollständige Person zuwenden und auch den Schmerz zulassen kann. Mein Idealzustand wäre, keine Nachrichten zu lesen, wenn man nicht gerade bereit ist, zwei Stunden zu heulen. Bei Trump reicht es mir inzwischen, die größeren Bewegungen mitzukriegen. Es ist gut, da mal eine Runde auszusetzen, damit man überhaupt noch merkt, wenn er mal etwas wirklich Schlimmes macht. Und bei Themen, die mich interessieren, versuche ich tiefer zu gehen und ein Buch dazu zu lesen.

Ist es naiv, zu glauben, dass Kunst etwas verändern kann?

Judith Holofernes: Nein, Kunst ist manchmal ein sehr adäquates Mittel, um mit der Welt umzugehen. Sie kann Sachen verständlich und fühlbar machen, zuspitzen und befeuern. Ich glaube nicht, dass Kunst alleine irgendetwas verändert, aber sie kann als Inspiration für sehr reales Handeln in der Welt dienen.
Vielen Dank für das Gespräch!

Judith Holofernes ist auf Tour zum neuen Album »Ich bin das Chaos« mit Teitur am 25. April live in der Scheune zu erleben; www.judith-holofernes.de/

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