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Das Alter als Wechsel des Aggregatzustands – Regisseur Wolfgang Becker im Interview zur Verfilmung von Daniel Kehlmanns Roman »Ich und Kaminski«
Regisseur Wolfgang Becker im Interview zur Verfilmung von Daniel Kehlmanns Roman »Ich und Kaminski«
■ »Ich und Kaminski« ist ein satirischer Einblick in die Kunstwelt. Ein Roadmovie, das durch halb Europa führt, gesäumt von peinlichen Situationen und schmutzigen Tricks, mit denen Kunstjournalist Zöllner versucht, dem fast vergessenen Maler Kaminski dessen Lebensgeheimnisse zu entlocken. Zöllner, der ein Enthüllungsbuch über den legendären blinden Künstler plant, muss aber schnell feststellen, dass er dem Alten keineswegs gewachsen ist. DRESDNER-Autor Martin Schwickert hat sich mit Regisseur und Drehbuchautor Wolfgang Becker über seinen neuen Film, Kunst, das Alter und die Frage nach Vergänglichkeit unterhalten.

Ihr letzter Film »Good Bye Lenin!« war ein Riesenerfolg. Das war vor zwölf Jahren. Warum mussten wir so lange auf einen neuen Wolfgang-Becker-Film warten?

Wolfgang Becker: Ich beschäftige mich ja nicht nur mit Film. Sicher würde ich gern häufiger drehen, aber in Ermangelung geeigneter Drehbücher warte ich lieber, bis ich ein Skript in der Hand habe, das sich für mich richtig anfühlt. Viele Regisseure drehen – um die Zeit zu füllen, in der Übung zu bleiben und Geld zu verdienen – zwischen ihren Hauptwerken immer wieder Filme, hinter denen sie möglicherweise nicht so ganz stehen. Ich versuche stets Filme zu finden, die ich hundertprozentig vertreten kann.

Warum waren Sie bei Daniel Kehlmanns Roman »Ich und Kaminski« sicher, dass das Ihr Stoff ist?

Wolfgang Becker: Der Roman hat mir von der Thematik, der Erzählweise, vom Humor her sehr gut gefallen. Ich habe den Stoff allerdings unterschätzt, als ich dachte, er sei leicht für die Leinwand zu adaptieren. Der Roman kommt so harmlos daher, aber er steckt voller dramaturgischer Tücken und wurde viel teurer, als man beim Lesen vermutet. Auch wenn er »nur« in den 90ern spielt, muss man, was die Ausstattung anbetrifft, wie an einen historischen Film herangehen. Kehlmann musste kein einziges Bild malen und konnte einfach behaupten, dass Kaminski ein Künstler von Weltrang ist. Im Film muss man die Bilder jedoch zeigen und die kann man nicht kurz mal von einem Requisitenmaler anfertigen lassen. Ich musste einen Künstler finden, der ein Lebenswerk in Ausschnitten überzeugend malen konnte. Die Kunstproduktion ist daher schon parallel zum Drehbuchschreiben gelaufen und hat viel, viel Zeit in Anspruch genommen.

Der Roman operiert mit einem vollkommen unsympathischen Ich-Erzähler. Wie übersetzt man so eine Figur auf die Leinwand, wo das Kino doch sehr mit Identifikation arbeitet?

Wolfgang Becker: Wir schauen anders Filme als wir Bücher lesen. In einem Roman kann eine Hauptfigur, wie die von Sebastian, viel krasser gezeichnet sein, weil wir als Leser den Grad der Vermessenheit, der Arroganz und Selbstüberschätzung mit Hilfe unserer Fantasie selbst nachjustieren. Wir können uns die Figur so vorstellen, dass sie für uns erträglich ist. Auf der Kinoleinwand bekommt die Figur zwangsläufig eine Objektivierung. Wir sehen ganz konkret, wie unverschämt dieser Sebastian ist. Kehlmann geht in seinem Roman recht mitleidslos mit seinen Figuren um. Das kann er sich als Autor leisten. Im Film ist die Gefahr viel größer, dass eine Figur denunziert wird und die Zuschauer den Kontakt zu ihr verlieren. Im Film folgen wir einem Kotzbrocken, weil wir an ihm auch Seiten von uns wiedererkennen, weil er sich was traut, was wir uns insgeheim auch gern trauen würden. Aber das geht eben nur, wenn der Film auch Empathie für die Figur entwickelt. Einen solchen Unsympathen zu spielen, war für Daniel Brühl eine willkommene Herausforderung, aber auch ein neues Terrain, das er sich erst einmal erspielen musste.

»Ich und Kaminski« ist auch ein Film über das Alter, das Sie ungeschönt und auf eine sehr körperliche Weise zeigen...?

Wolfgang Becker: Kehlmann, der ja noch recht jung war, als er den Roman schrieb, thematisiert dort das Alter mit erstaunlich weisen und einfühlsamen Sätzen – ganz ohne Larmoyanz und Mitleid. Das Alter wird hier als ein Wechsel des Aggregatzustandes beschrieben. Zwar ist man im Alter noch da, wird aber mehr und mehr unsichtbar, hört auf in der Wahrnehmung der Jüngeren zu existieren. Wenn solche Sätze von dem großartigen Jacques Herlin gesprochen werden, der mit seinen 86 Jahren genau wusste, wovon er redet, verfehlt das nicht seine Wirkung. Es ist auch kein Zufall, dass ich Jürgen Jürges als Kameramann angefragt habe. Er wusste mit seiner Alterserfahrung genau, worauf es ankommt, alte Menschen ungeschönt aber würdevoll ins Bild zu setzen.

Daran schließt sich ein weiteres zentrales Thema des Films an: Die Vergänglichkeit des Menschen und sein Bestreben zumindest in der Kunst Unvergänglichkeit zu erreichen!?

Wolfgang Becker: Die Frage »Was bleibt von mir übrig, wenn ich nicht mehr bin« beschäftigt jeden Menschen früher oder später. Die meisten begnügen sich damit, dass sie Kinder in die Welt setzen. Und ich finde, ein Kind groß zu ziehen und in die Welt zu schicken, ist eine ebenso große Lebensleistung wie einen Evergreen zu schreiben oder ein Meisterwerk zu malen. Das wird im Film ja auch thematisiert. Kaminskis große Jugendliebe, die er nach Jahrzehnten wieder trifft, hat mit vier Kindern und einer Schar von Enkeln einen anderen Lebensweg gewählt. Dagegen steht ein Maler, der einmal Weltrang hatte, aber wegen seiner Blindheit in Vergessenheit geraten ist und am Ende seines Lebens sagt: »Kunst bedeutet nichts«.

Haben Sie mit »Good Bye, Lenin!« ein Stück Unvergänglichkeit erreicht?

Wolfgang Becker: Unvergänglichkeit durch ein Werk kann man nicht planen. Das wird für mich auch nie die Motivation für einen Film sein. Aber eine nachträgliche Befriedigung ist der große Erfolg auf jeden Fall. Der Film hat Millionen Menschen auf der ganzen Welt erfreut. Und ich wurde für etwas belohnt, für das ich hart gearbeitet habe.
Vielen Dank für das Gespräch!

»Ich und Kaminski«, BRD/Belgien 2015, Regie: Wolfgang Becker, mit Daniel Brühl, Jesper Christensen, Amira Casar u.a. läuft ab 17. September im Pk Ost, im KiF und in der Schauburg. Mehr zum Film: www.x-verleih.de/de/filmdatenbank/null/ICH-UND-KAMINSKI Trailer unter www.youtube.com/watch?v=r-pcrEVwMFU

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