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Beim Casting scheiterten die Schauspielerinnen an ihrer Eitelkeit – Mit »Paradies: Liebe« startet Ulrich Seidls kontrovers diskutierte Trilogie
Mit »Paradies: Liebe« startet   Ulrich Seidls kontrovers   diskutierte Trilogie
■ Im Abstand von nur wenigen Monaten kommt Ulrich Seidls Trilogie um Glaube, Liebe und Hoffnung in die deutschen Kinos. Immer geht es um die Suche nach dem ganz persönlichen, individuellen Glück. Im Einstiegsilm »Paradies: Liebe« erzählt Seidl, der eigentlich vom Dokumentarilm herkommt und vor fünf Jahren in Cannes seinen schonungslosen Sexhandel-Film »Import/Export« vorstellte, die Geschichte der sogenannten »Sugarmamas«, Sextouristinnen in Kenia, die im Urlaubsparadies versuchen, ihre Liebessehnsüchte zu stillen. Darüber, was das über unsere Gesellschaft aussagt, hat sich DRESDNER-Autor Martin Schwickert mit Ulrich Seidl unterhalten.

Gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Sextourismus?

Der männliche Sextourismus funktioniert viel mehr nach geschäftlichen Voraussetzungen. Es wird etwas angeboten und das hat seinen Preis. Der weibliche Sextourismus hat mehr mit romantischen Gefühlen zu tun. Die Frauen suchen die Liebe, die Anbahnung, die Zärtlichkeit, die Geborgenheit und auch die Wertschätzung – und die afrikanischen Beachboys sind äußerst begabt darin, den Frauen dieses Gefühl zu vermitteln.

»Paradies: liebe« lebt auch von der Körperlichkeit der Figuren…?

Alle meine Filme sind sehr körperlich, weil ich glaube, dass es ganz wichtig ist, Filme physisch zu machen undden Zuschauer so nahe wie möglich an die Figuren heranzubringen. Aber in diesem Film wird Körperlichkeit zum zentralen Thema. Es geht um eine Frau, die mit ihrem Körper unseren verordneten Schönheitsidealen nicht entspricht und deshalb versucht, ihre Sehnsucht nach Liebe woanders zu stillen.

Gab es da auch Dinge, die Sie deinitiv nicht zeigen wollten?

Das kann ich immer nur im Moment entscheiden. Es kommt darauf an, wie die Inszenierung funktioniert und dasetze ich in der Situation dann auch Grenzen. Aber es war zum Beispiel nie geplant, explizit Geschlechtsverkehr zu zeigen, was thematisch ja durchaus nahe gelegen hätte.

Die gespräche der Frauen untereinander wirken sehr authentisch. Wie haben Sie diese Dialoge erarbeitet?

Alle Gespräche sind improvisiert, aber sie sind auch vorbereitet. Es gibt Vorgespräche, und ich weiß, wenn ich dieses oder jenes Thema wähle, was die Schauspielerinnen dazu zu sagen haben.Den improvisierten Dialogen stehen die statischen, genau durchkomponierten Kameraeinstellungen gegenüber… Diese Einstellungen sind millimetergenau eingerichtet. Ich versuche immer, das natürliche Spiel mit meiner künstlerischen visuellen Gestaltung zu verbinden. Ein Reportagestil wäre für mich nicht interessant, weil ich auch über den Dialog hinaus etwas mit dem Bild erzählen will.Sie haben sich in ihrem Filmschaffen immer an der grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm bewegt.

Woher kommt ihre Vorliebe für die gratwanderung zwischen gefundenem und erfundenem?

Auf der einen Seite war ich immer ein faszinierter Beobachter der Wirklichkeit. Aber auf der anderen Seite hatte ich auch stets das starke Bedürfnis zu gestalten, die Dinge wie ein Maler und Fotograf durch meinen Blickwinkel zu zeigen. Zwischen diesen beiden Ansätzen versuche ich, in meinen Filmen immer wieder eine Verbindung herzustellen. im Vergleich zum deutschen Kino schaut der österreichische Film sehr viel schonungsloser auf die Verfassung des Menschen und den Zustand der gesellschaft.

Woher kommt diese gnadenlosigkeit im künstlerischen Umgang mit der Realität?

Das kann man ja nicht nur im Film, sondern auch in anderen Kunstrichtungen feststellen. Diese Schonungslosigkeit hat in Österreich sicher auch damit zu tun, dass wir Jahrzehnte gebraucht haben, um unsere Rolle in der Nazizeit klarzustellen. Wenn eine Gesellschaft bestimmte Dinge verschleiert und mit ihrer Vergangenheit verlogen umgeht,dann wird die Kunst umso hartnäckiger versuchen dagegen vorzugehen.

Wie werden ihre Filme in Deutschland wahrgenommen?

Das »Paradies«-Projekt, zu dem ja noch zwei weitere Filme gehören, wurde von Deutschland nicht mitinanziert. Die Fördergeldanträge wurden zweimal abgelehnt. Die Begründung war quasi, dass das ein frauenfeindlicher Film sei, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Aber vielleicht gibt es in Deutschland auch ein gewisses Konkurrenzdenken, weil das kleine Filmland Österreich so viel internationale Aufmerksamkeit bekommt.
Vielen Dank für das gespräch!

Österreich, BRD, Frankreich 2012, Regie: Ulrich Seidl, mit Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux u. a. (ab 3. Januar in der Schauburg).

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