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»Alles für die Freiheit – Auf in die Wüste« – Johann Casimir Eule (Foto: Ludwig Olah) zu Arnold Schönbergs »Moses und Aron« an der Semperoper
Johann Casimir Eule (Foto: Ludwig Olah) zu Arnold Schönbergs »Moses und Aron« an der Semperoper
■ Ein biblischer Stoff, umgesetzt vom Großmeister der 12-Ton-Musik. Was sich zunächst antagonistisch anhört, ist genau mit diesen Widersprüchlichkeiten eines der bedeutendsten Musikwerke, nicht nur des 20. Jahrhunderts. Nach über 40 Jahren ist »Moses und Aron« wieder in Dresden zu sehen – und ist gleichzeitig der erste große Paukenschlag des neuen Semperoper-Indendanten Peter Theiler. DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher sprach mit Johann Casimir Eule, dem persönlichen Referenten des Indendaten für künstlerische Fragen, der »Moses und Aron« als Dramaturg betreut.

»Moses und Aron« , nach über 40 Jahren wieder im Spielplan der Semperoper. Was sprach dafür, diese Oper als Auftakt für die Intendanz von Peter Theiler zu wählen?

Johann Casimir Eule: Es ist eine sehr schöne Koinzidenz, dass die Erstaufführung in der DDR 1975 in der legendären Inszenierung von Harry Kupfer in Dresden stattfand. Aber in erster Linie war uns wichtig, ein Werk zu wählen, das fundamentale Fragestellungen der Gegenwart verhandelt: Was bedeutet das Abendland für uns, welche Bedeutung hat Religion heute noch? Es geht um Mündigwerden eines Volkes und damit auch um die Definition des Volksbegriffes, die Volkgemeinschaft, die Ausbildung einer gemeinsamen Identität. Es werden aber auch Fragen gestellt nach der Bedeutung von Leitfiguren, Politikern, Führern, Ideengebern. Moses, der sein Volk aus der Sklaverei herausführt, in die Wüste, also durch eine wortwörtliche, krisenbeladene Durststrecke hindurch, hinein ins gelobte Land. Das ist eine große Metapher für politische Umwälzungen, Umstürze. Konfliktlagen, in denen wir uns befinden, wenn wir die jüngsten Diskussionen verfolgen: Wer leitet wie, mit welchem Mandat das Volk, die Gesellschaft, an?

Wie kam es für Schönberg zur Wahl eines alttestamentarischen Stoffes?

Johann Casimir Eule: Hier begeben wir uns auf die theoretische Ebene: Wie man Konzepte oder Ideen, in dem Fall die Idee des Monotheismus, zur Sprache und zur Musik bringt und wie man diese Idee auch sinnlich erfahrbar macht? Das ist der große Konflikt der Brüder Aron und Moses. Moses wird von Gott beauftragt, dem jüdischen Volk den Monotheismus nahezubringen. Er weigert sich zunächst, weil er sich außerstande sieht, dies zu vermitteln, ihm fehlen Ausdruck und Sprache. So stellt ihm Gott seinen Bruder zur Seite, redegewandt und pragmatisch. Jetzt haben wir auf der anderen Seite Aron, den Verführer, den Populisten, auch den Demagogen, der die Massen manipulieren kann und somit Moses hilft, die Idee des Monotheismus durchzusetzen. Dies wird von Arnold Schönberg in unglaublich packendes und faszinierendes Musiktheater gegossen.

Ist es notwendig, Moses und Aron in den Zeitläuften des Entstehens zu kontextualisieren. Ist es ein politisches Stück? Es ging doch Schönberg nicht darum, dem Monotheismus Bahn zu brechen?

Johann Casimir Eule: Man kann die theologische Frage stellen, aber das ist nicht primär das, was uns interessiert. Schönberg selbst hat sich als unpolitischer Mensch begriffen. So modern und radikal er in seiner künstlerischen Konzeption war, so wertkonservativ war er grundsätzlich eingestellt. Erst als er den sich verschärfenden Nationalismus und Antisemitismus am eigenen Leib erfahren musste, hat er sich politisiert. Und er hat sich auch, er war konvertiert, seiner familiären religiösen Wurzeln besonnen und ist zum Judentum zurückgekehrt. Gleichzeitig, und dafür war er der große Denker und Theoretiker, verhandelt er auf dieser Metaebenen die Fragen, die damals gesellschaftlich aufschienen. Aber er hatte auch durchaus die Vorstellung, dass seine Musik die nächsten hundert Jahre der abendländischen Kultur den Weg in die Zukunft weist. Er war in diesem Punkt nicht unbescheiden. Hier lässt sich schon sagen, dass er sich auf der großen Ebene gespiegelt gesehen hat: Als Arnold Schönberg, oder Moses, etwas Neues in die Welt zu bringen und die Schwierigkeiten aufzuzeigen, dies zu kommunizieren.

»Moses und Aron bewegt sich also in und vor einem gesellschaftlichen Kontext. Es ist nicht das Psychogramm eines Bruderzwists?

Johann Casimir Eule: Was der Regisseur, Calixto Bieito, daraus macht, ist die andere Frage. Bieito ist ein Regisseur, der beide Dimensionen bedienen kann. Er sucht auch immer die existenziellen Ursprünge von Konfliktlagen. Er ist jemand, der auch stark nach psychischen Verletzungen oder Defekten in seinen Grundkonstellationen fragt, die den Einzelnen zum Denken und Handeln motivieren. Falls man einen biographischen Bezug zu Calixto Bieito herstellen möchte, ist es interessant zu wissen, dass in der Franco-Ära großgeworden ist und stark durch den Katholizismus in Spanien geprägt wurde – für ihn waren dies keine positiven Erfahrungen. Wir haben mit Moses und Aron zwei Menschen, die mit sich ringen, um einem Auftrag gerecht zu werden und letztendlich scheitern. Es sind ambivalente Figuren, und für drängende und suchende Figuren hat Calixto Bieito ein großes Verständnis. Es geht ihm nicht um richtig oder falsch, sondern um die Darstellung der Auseinandersetzung.
Vielen Dank für das Gespräch!

»Moses und Aron« unter der Regie von Calixto Bieito und musikalischer Leitung von Alan Gilbert; Premiere am 29. September in der Semperoper, weitere Aufführungen: 3., 6., 10., 15. Oktober; mehr zum Stück: www.semperoper.de/spielplan/stuecke/stid/moses/61285.html#a_26679

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